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„Für die waren wir Ungeziefer“: DDR Staatsfeind Wolfgang Welsch im Alfred-Grosser Gymnasium

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Wolfgang Welsch hat Unmenschliches überstanden.
Fotos: Vollstedt

Bad Bergzabern – „Was hat sie all die Jahre in der Haft, bei all den Misshandlungen und der Folter durchhalten lassen“, fragt eine Schülerin des Leistungskurses Geschichte des Jahrgangs 12 des Gymnasiums im Alfred-Grosser-Schulzentrum Bad Bergzabern den DDR-Flüchtling und späteren Fluchthelfer Wolfgang Welsch.

„Die einen haben einen starken Charakter, die anderen einen weniger starken“, antwortet der 71-Jährige. Er wird später noch oft darauf zurückkommen, dass es den Mitarbeitern der Staatssicherheit (Stasi), des Inlandsgeheimdienstes der DDR, darum ging, Menschen zu brechen.

„Manche haben sich umdrehen lassen, haben gesagt: ´Ja, ich will wieder ein wertvoller Bürger dieses sozialistischen Staates sein´“, erzählt Welsch. Aber seine Mutter sei aus Ostpreußen, „da hat man einen Dickschädel“, sagt er.

„Je mehr ich geschlagen wurde, desto mehr dachte ich: ´Jetzt erst recht!´“ – und spätestens bei diesem Teil seines Vortrages hören alle 18 Schüler sowie die Lehrer trotz des schwül-heißen Vormittags ganz genau zu.

Einer fragt: „Wie muss man sich die Folter denn konkret vorstellen? Wie im Mittelalter?“ Wolfang Welsch beschreibt, wie er auf einen Hocker steigen musste und an ein Gitter gekettet wurde. Dann wurde der Hocker weggetreten.

Die Handschellen schnitten ins Fleisch. Der Wärter habe ihn dann mit einem Schlagstock in die empfindlichen Seiten, in Leber und Milz geschlagen, bis er ohnmächtig wurde. Ärztliche Versorgung gab es trotz schwerer Verletzungen nie.

„Die Wärter sahen aus wie ganz normale Menschen, aber wir waren für die nur Ungeziefer. Die waren völlig ideologisiert“, berichtet er. Nie habe einer mit ihnen gesprochen, nie habe einer Mitleid gezeigt.

Auf den Gefängnisgängen habe es Ampeln gegeben, die dafür sorgten, dass sich bloß nicht zwei Gefangene begegnet wären. „Das hätte dir in der Einzelhaft Kraft für Wochen gegeben“, sagt Wolfgang Welsch.

„So bist du aber auf dich selbst zurückgeworfen. Ich habe Gedichte rezitiert.“ Auf winzigen selbst hergestellten Papieren, die er z.B. in Streichholzschachteln versteckte, schrieb er Gedanken auf.

Eine seiner schlimmsten Erfahrungen in der Haft sei eine Scheinhinrichtung gewesen. Bis zum letzten Moment habe er geglaubt, er werde gleich wirklich erschossen.

Sprachblockade wegen Folter

„Wir haben es schließlich überlebt, zumindest körperlich“, sagt Welsch. Ohne Folgen blieb die brutale Haft nicht.

„Als ich 1971 in den Westen durfte, wollte ich wieder als Schauspieler arbeiten“, erzählt der ehemalige politische Häftling. Er habe nach erfolgreichem Vorsprechen sogar gleich drei Engagements erhalten. „Aber als ich dann in der ersten Probe auf der Bühne stand, kam kein Ton raus.“

Er habe eine Sprachblockade gehabt und seitdem nicht mehr als Schauspieler arbeiten können. Im Westen habe er außerdem kaum über seine Erfahrungen in der DDR reden können, denn in den 70er-Jahren sahen viele Linksintellektuelle die DDR noch als Alternative zum Westen. „Mir hätte keiner geglaubt“, sagt Wolfgang Welsch.

Mit einem Mitstudenten, der auch aus der DDR stammte, baute Wolfgang Welsch dann eine Fluchthilfeorganisation für DDR-Bürger auf. „Jemand hat unser System mal genial genannt“, sagt er. Echte westdeutsche Pässe verhalfen den Ostbürgern zur Flucht, indem sie sich im Ostblock als eingereiste Westler ausgeben konnten.

Mordanschläge überlebt

Welsch wurde deshalb auch im Westen von der Stasi verfolgt. Ein enger Freund war Mitarbeiter der Stasi und war in mehrere Mordanschläge, unter anderem mit Scharfschützen und Gift, eingeweiht. Mit viel Glück überlebte Welsch.

Der DDR-Regimegegner kam am zweiten von vier Tagen fächerverbindenden Unterrichts. Dabei ging es um die Wende 1989, das Leben in der DDR und die Wiedervereinigung.

Der Leiter des Leistungskurses Geschichte, Stefan Bingler, Ethiklehrerin Dr. Annette Kliewer und Geschichtslehrer Markus Vollstedt hatten sich zusammengetan, um das Leben in einer Diktatur, sowie Flucht und Revolution zu thematisieren.

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Annette Kliewer hatte z.B. mit den Schülern besprochen, ob Fluchthilfe auch mit Blick auf die Schlepperbanden im Mittelmeer generell zu rechtfertigen sei.

Als Ergebnis ihrer Arbeit produzierten die Schüler ein filmisches Interview mit Wolfgang Welsch sowie Audioguides zu einer Plakatausstellung zu DDR-Geschichte und friedlicher Revolution.

Am Mittwochmorgen, vor dem Besuch von Wolfgang Welsch, wurden die Schüler noch zum Thema informiert: „Widerstand gab es all die Jahre der DDR“, sagt Wolfgang Welsch. „Der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 war Trauma für die Regierung der DDR bis zum Schluss. Die hatten immer Angst, dass das Volk sich wehrt.“

Der Traum von Freiheit

Dabei sei Freiheit immer das Wichtigste gewesen. „Die Mauer war eine Grenze, die gegen die eigene Bevölkerung gerichtet war. Sie war keine normale Grenze zur Verteidigung gegen äußere Feinde“, sagte Niels Dehmel von der Deutschen Gesellschaft (in Zusammenarbeit mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Friede-Springer-Stiftung) vor dem Besuch von Wolfgang Welsch.

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Wolfgang Welsch und NIls Dehmel.

So habe man die Grenze von Westen her deutlich leichter überwinden können als von Osten her. Es habe bis zu zehn Hindernisse gegeben, zum Beispiel einen KFZ-Graben, in den Autos hineinfuhren, bevor sie überhaupt die Mauer erreichten.

Unmittelbar hinter der Mauer hätten die DDR-Grenzsoldaten regelmäßig die Erde aufgelockert, um Fußspuren sofort zu erkennen – „und das auf 160 Kilometer Länge“, erzählte der Berliner Niels Dehmel.

„Es gab sogar einen Plan „Mauer 2000“, mit dem der Grenzwall modernisiert und digitalisiert werden sollte. Die DDR-Staatssicherheit sorgte auch mit gezielt gestreuten Gerüchten über angebliche Schwachstellen in der Mauer dafür, dass sich die Flüchtlinge lenken und leichter verhaften konnte.

Dabei betonte Dehmel, dass sowohl der Mauerbau 1961 als auch der Mauerfall 1989 Ergebnisse einer langen Vorgeschichte waren.

Die Mauer begann schon 1948 mit einem weißen Strich quer durch Berlin; lange vor 1961 kamen dann Stacheldraht und zunehmende Befestigungen. Auch 1989 habe sich entschieden, was in den Jahren zuvor vorbereitet worden war.

Niels Dehmel erklärte den Schülern, wie bei den Kommunalwahlen im im Mai 1989 zum ersten Mal durch Nachzählen zum ersten Mal die systematische Wahlfälschung in der DDR bewiesen werden konnte.

Der damalige sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow habe wesentlich zur Wende beigetragen.

Dehmel gab dann einen Überblick über den Verlauf der friedlichen Revolution 1989 von den ersten Grenzöffnungen in Ungarn bis hin zur versehentlichen Grenzöffnung durch Günter Schabowski im November 1989.

Am Ende des Schultages waren trotz der Hitze sowohl Schüler als auch Lehrer beeindruckt.

Wolfgang Welsch

„Ich bin ein Mann des Widerstands“, sagt Wolfgang Welsch (*1944). Er wurde Schauspieler, wollte aber weg aus der DDR. Sein Fluchtversuch 1964 scheiterte. Anschließend wurde er insgesamt sieben Jahre in DDR-Gefängnissen gefoltert und misshandelt.

Er konnte Botschaften über sein Schicksal nach draußen schmuggeln, die im Westen Aufmerksamkeit erregten. 1971 wurde er gemeinsam mit anderen politischen Häftlingen auf Initiative des westdeutschen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) freigekauft.

Im Westen half er rund 200 DDR-Bürgern bei der Flucht. Die Staatssicherheit (Stasi), der ostdeutsche Inlandsgeheimdienst, verfolgte ihn daraufhin auch im Westen.

Er überlebte mehrere Mordanschläge nur knapp; unter anderem versuchte ein enger Freund, der heimlich für die Staatssicherheit arbeitete, ihn zu vergiften. Welsch verarbeitete seine Erfahrungen in dem Buch „Ich war Staatsfeind Nr. 1“, das unter dem Titel „Der Stich des Skorpion“ 2004 verfilmt wurde. (mv)

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Wolfgang Welsch im Interview mit Schülerinnen.

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