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Ermittler kamen NSU-2.0-Verdächtigem über Kommentare auf die Spur

Symbolbild: dts Nachrichtenagentur

Frankfurt/Main  – Das Hessische Landeskriminalamt ist dem Verdächtigem im Fall der „NSU 2.0“-Drohschreiben, Alexander M., über Internetkommentare auf die Spur gekommen.

Der heute 53-Jährige ist unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung, Betrugs, Urkundenfälschung, Hehlerei, Bedrohungen, Beleidigungen, Verleumdung, Besitzes kinderpornografischer Schriften und Urkundenfälschung vorbestraft. Die Polizei Berlin führte bereits Dutzende Verfahren gegen ihn. Er wurde am Montagabend in Berlin festgenommen. Nach Überzeugung der Frankfurter Staatsanwaltschaft hat M. mehr als 100 Drohschreiben verfasst, die er als „NSU 2.0“ an Prominente, Anwälte und Politiker schickte.

Ausdrucksweise brachte Ermittler auf die Spur

Nach eigenen Angaben hatten die Ermittler durch Überwachung und Auswertung „relevanter Blogs und rechtspopulistischer Foren“ im Internet einen User festgestellt, dessen Beiträge in Form und Duktus der Äußerungen Ähnlichkeiten mit den Drohschreiben des sogenannten „NSU 2.0“ aufwiesen. Linguistische Begutachtungen der Tatschreiben des „NSU 2.0“ im Abgleich mit mehreren Kommentatoren auf der rechtspopulistischen Internetplattform durch das sprachwissenschaftliche Institut des Bundeskriminalamtes hätten zur Feststellung einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Autorenübereinstimmung geführt.

Über Internetrecherchen wollen die Ermittler dann auf einer Schachplattform ein Profil festgestellt haben, das namensgleich auch in dem rechtspopulistischen Forum aktiv war. Auffällig sei dabei, dass in beiden Foren als Profilbild dieselbe Comicfigur Verwendung fand. Darüber hinaus seien aufgrund der Nutzung der gleichen IP-Adresse sowie der Feststellung wortgleicher Beleidigungen in der Chatfunktion der Schachplattform weitere Profile ermittelt worden, die mutmaßlich demselben Nutzer zuzuordnen sind.

Sowohl aus den Kommentaren als auch aus einer Ortsangabe auf der Schachplattform konnte ein Berlinbezug – wie in einigen Drohschreiben auch – hergeleitet werden. Aufgrund dieser Übereinstimmungen war davon auszugehen, dass hinter den Kommentatoren und den Nutzern der Schachplattform dieselbe Person steht, die auch die Drohschreiben unter Verwendung des Kürzels „NSU 2.0“ verfasst, so die hessischen Ermittler.

Darüber hinaus gab es Übereinstimmungen zwischen der Korrespondenz mit dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten Berlin. In den Eingaben führte M. unter anderem aus, wie man bei Behörden unter missbräuchlichem Vorgehen personenbezogene Daten erheben könne und dass er dies auch schon getan habe. Hier nannte er fingierte Anrufe bei Behörden als angeblicher Behördenmitarbeiter.

1992 hatte sich der Mann schon einmal als Krimimalbeamter ausgegeben und war wegen Amtsanmaßung rechtskräftig verurteilt worden. Ferner steht der Beschuldigte im Verdacht, Anfang 2017 einen Würzburger Rechtsanwalt telefonisch bedroht zu haben. Dabei nannte der Anrufer die Privatanschrift des Rechtsanwalts und gab zu erkennen, dass er von seinen beiden Kindern wisse.

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Punkte erscheint es nach Ansicht der Staatsanwaltschaft naheliegend, dass der Beschuldigte unter der Vorgabe, Bediensteter einer Behörde zu sein, telefonisch bei Polizeidienststellen nicht frei recherchierbare personenbezogene Informationen aus den Drohschreiben in Erfahrung gebracht hat, was in der Folge die festgestellten Datenabfragen bezüglich der Hauptgeschädigten auf dem 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main, auf den Wiesbadener Revieren 3 und 4 sowie auf den betroffenen Revieren in Berlin plausibel erscheinen lasse.

Untermauert werde diese Hypothese durch die Tatsache, dass in den Drohschreiben auch auf Anrufe bei der Chefredakteurin der „taz“ in Berlin Bezug genommen wird. In einem dieser Anrufe gab sich eine männliche Person als Polizist des Abschnitts Berlin-Wedding aus, um so an die Mobilfunknummer einer weiteren Geschädigten zu gelangen. Insgesamt ergebe sich ein dringender Tatverdacht dafür, dass es sich bei dem Beschuldigten um den Verfasser und Absender der Drohschreiben handele, so die Staatsanwaltschaft.

Schon früher aufgefallen

Alexander M. ist bereits in der Vergangenheit mit Todesdrohungen aufgefallen. Der „Spiegel“ schreibt, Alexander M. habe im Februar 2003 unter falschem Namen den Leiter der Berliner Justizvollzuganstalt Moabit angerufen und ihm gedroht: „Ich werde mich rächen, ich werde Sie umbringen.“ Einen Tag später meldete er sich erneut und brüllte ins Telefon: „Sie werden Schwierigkeiten kriegen ohne Ende. Sie werden getötet.“ Eine Mitarbeiterin des Gefängnisses hatte geistesgegenwärtig auf Lautsprecher gestellt und das Gespräch aufgezeichnet. Drei Jahre später verurteilte das Amtsgericht Tiergarten M. deshalb wegen Bedrohung.

Die Frankfurter Verteidigerin Seda Basay-Yildiz, die vom „NSU 2.0“ ebenfalls mehrfach bedroht wurde und deren geheime Privatanschrift dabei Verwendung fand, zeigte sich bislang nicht überzeugt von der Einzeltäter-These. „Für mich bleiben nach wie vor zu viele Fragen offen“, sagte sie. „Wie kommt ein Tatverdächtiger in Berlin an die unstreitig im 1. Frankfurter Revier abgerufenen Daten? Und vor allem: Wie kommt er danach auch noch an meine neue und gesperrte Adresse?“ M.s Verteidiger wollte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen gegen seinen Mandanten äußern. Der Beschuldigte soll demnächst aus der Berliner Untersuchungshaftanstalt in ein hessisches Gefängnis verlegt werden.

(dts Nachrichtenagentur/red)

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