- Pfalz-Express - https://www.pfalz-express.de -

Diskussion im Pfalz-Express: Migrationsbeirat Ziya Yüksel: AfD instrumentalisiert Ängste der Bevölkerung

[1]

Ziya Yüksel berichtete auf der letzten Kreistagssitzung über die Arbeit des Migrationsbeirats.
Foto: pfalz-express.de/Licht

Kreis Germersheim – Der Vorsitzende des Beirats für Migration und Integration im Kreis Germersheim, Ziya Yüksel, hat mit einem weiteren offenen Brief auf ein Schreiben von Thomas Lutz, Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Germersheim,  reagiert.

Yüksel  hatte ursprünglich in einem offenen Brief  die Äußerung von Lutz´ Stellvertreter Franz Georg Roth kritisiert.

Roth soll auf dem Parteitag folgendes über den Islam gesagt haben:“ Der Islam ist für mich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Er ist keine Religion, sondern eine faschistoide Ideologie“.

Daraufhin entspann sich eine umfangreiche Diskussion im Kommentarbereich des Pfalz-Express: Kreis Germersheim: Migrationsbeiratsvorsitzender Ziya Yüksel schreibt an AfD-Vorsitzenden. [2]

Lutz hatte ebenfalls mit einem offenen Brief reagiert, in dem er anmahnte, die Ängste der Bevölkerung vor einer Islamisierung Deutschlands und Europas ernst zu nehmen. Die Haltung von Franz Georg Roth teile man jedoch nicht. AfD-Vorsitzender Thomas Lutz antwortet Migrationsvorsitzendem Ziya Yüksel: Ängste ernst nehmen. [3]

Das Schreiben von Ziya Yüksel im Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass der AfD-Vorstand des Kreisverbandes Germersheim sich von seinem stellvertretenden Vorsitzenden, Franz Georg Roth, distanziert und parteiinterne Maßnahmen eingeleitet hat.

Für eine Partei, die im Kreistag ernsthafte Politik betreiben möchte, war das ein wichtiger und dringend erforderlicher Schritt.

Außerdem bedanke ich mich bei der PEX-Redaktion für den öffentlichen Raum, den sie für diese Thematik zur Verfügung stellt.

Die Intensivität und die Anzahl der Reaktionen auf meinen offenen Brief und die Fragen aus dem Antwortschreiben von Herrn Thomas Lutz haben mich bewogen eine abschließende Stellungnahme abzugeben.

Ich unterstreiche hier, dass das Schreiben von mir als Vorsitzender des Beirates für Migration und Integration verfasst wurde und ich kein Islamwissenschaftler, Imam oder Anwalt der muslimischen Gemeinde bin.

Für die allermeisten Kommentare bin ich somit in mehrfacher Hinsicht der falsche Ansprechpartner.

Da mich auch E-Mails erreichen, die in der selben traurigen Qualität sind wie einige der Kommentare auf meinen Brief und von einigen Kommentatoren anscheinend Recherchen über meine Person angestellt werden, sehe ich mich gezwungen folgende Informationen über meine Person klarzustellen.

Ich bin deutscher Staatsbürger mit allen Pflichten und Rechten. In meiner Familie werden sowohl Christentum als auch Islam gelebt. Auf das Opferfest freue ich mich genauso wie auf Weihnachten. In der Kirche bin ich genauso oft oder selten wie in der Moschee.

Diejenigen, die über mich recherchiert haben, hätten auch entdecken müssen, dass ich mich 2012 und 2013 öffentlich gegen grenzwertige muslimische Tendenzen gestellt habe. Hierzu gibt es Berichte in der Rheinpfalz (20.10.12-Nicht von Radikalen Instrumentalisieren lassen / 20.03.13 – Stellungnahme auf den Leserbrief von Malte Müller). Auch wenn ich mich mit diesen öffentlichen Stellungnahmen bei einem Teil der muslimischen Gemeinde nicht unbedingt beliebt gemacht habe, werde ich meiner Linie treu bleiben und auch in Zukunft in alle Richtungen wach bleiben.

Ich werde bereitstehen, falls radikale islamistische Gruppierungen in unserer Region den Zusammenhalt gefährden, ich werde aber auch da sein, wenn Moscheen und Flüchtlingsheime angezündet werden. Auch Muslime und Flüchtlinge sind Menschen, auch sie haben Ängste.

Den Mauerfall versucht Herr Lutz in seinem Antwortschreiben mit mehreren Zeilen auf eine deutsch-deutsche Thematik zu reduzieren, obwohl die Wiedervereinigung ein globales und kulturübergreifendes Zeichen gesetzt hat. Sie ist eine Chance für ein neues Deutschland, in dem sich alle wiederfinden, die sich hier beheimatet fühlen und Verantwortung für dieses Land übernehmen.

Und genau hier liegt der Unterschied. Während Herr Lutz ein erschreckend einseitiges Bild malt und Deutschland in die Vergangenheit katapultiert, stelle ich mich der Realität.

Die Realität besagt eben, dass die kulturelle und religiöse Zusammensetzung in Deutschland so ist wie sie ist.

Gerade im Kontext der demographischen und wirtschaftlichen Herausfor-derungen sollten wir diese Vielfalt gestalten und feiern und uns nicht ständig an Negativbeispielen abquälen. Wir haben die Wahl! Ständig in der Vergangenheit herumwühlen und Schuldige suchen oder uns auf die Chancen und Potenziale einer vielfältigen Gesellschaft konzentrieren.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Dr. Navid Kermani hat in seiner wunderbaren Rede zu 65 Jahre Grundgesetz im Bundestag gesagt: „Ohne zu merken, hat die Bundesrepublik eine grandiose Integrationsleistung vollbracht.“

Ich sehe das ähnlich. Vieles läuft gut. Migrantinnen und  Migranten genießen in Deutschland im Verhältnis zu ihren Herkunftsländern einen hohen Lebensstandard, genießen hier einen hohen Grad an Demokratie, an Meinungs- und Religionsfreiheit. Auch die Integration läuft seit einigen Jahren immer besser, die Anzahl der migrantischen Kinder in Gymnasien steigt, noch nie haben  Kinder ausländischer Herkunft so gut Deutsch gesprochen wie heute und auch auf einigen anderen Gebieten lassen sich positive Tendenzen erkennen.

Das heißt aber nicht, dass alles zufriedenstellend ist und dass diese Erfolge sich von selbst weiter einstellen werden. Seit etwa 10 – 15 Jahren hat man in Deutschland endlich begonnen Integration aktiv zu gestalten und das gleichberechtigte Miteinander auf mehreren Ebenen auf die Agenda zu nehmen. Ich lade alle Menschen ein, diesen Prozess mitzugestalten, ihre Ideen, ihre Kritiken, und auch ihre Ängste einzubringen. Pauschalisierende Provokationen zerstören Vertrauen und sind wenig zielführend.

Integration ist für mich, wenn sich alle gesellschaftlichen Gruppen bewegen. Diese Veränderungen und gegenseitigen Beeinflussungen waren auch schon in der Vergangenheit da. Ich denke die Pfälzerinnen und Pfälzer wissen das besonders gut. Deshalb wird sich unsere Identität in Zukunft wie auch in der Vergangenheit ständig ändern, ob wir das wollen oder nicht! Der Erfolg der Integration hängt wesentlich von der Bereitschaft ab Veränderung an sich selbst zuzulassen. Dies gilt für Zugewanderte wie auch für Deutschstämmige.

Die Frage ist auch hier, wie lebendig tauschen wir uns aus und welche Werte geben wir uns. Dies wird eine ständige und nie endende Diskussion sein. Was wir aber nicht tun sollten, ist uns etwas vorzumachen und zu glauben, dass wir irgendwelche Zustände konservieren können. Nichts ist beständiger als der Wandel.

Was wir auch nicht erlauben sollten ist Gleichgültigkeit. Auch wenn das hier einige irritieren sollte. Ich sehe in den kritischen Kommentaren einen starken Willen Verantwortung zu übernehmen und Werte zu schützen. Abgesehen davon, dass ich inhaltlich sicherlich oft anderer Meinung bin, sehe ich hier in den zahlreichen vehementen Kommentaren auf meinen offenen Brief dennoch das Gute. Nämlich die Bereitschaft Verantwortung zu zeigen! Ich hoffe einige dieser Kritiker dazu bewegen zu können, ihre kostbare Energie in eine wertschöpfende Richtung zu kanalisieren.

Ist der Islam eine Bedrohung für Deutschland?

Nein!
Bedrohung stellen die Protagonisten von extremistischen Gruppierungen dar. Und damit meine ich ausdrücklich nicht nur muslimische. Diese werden es immer wieder schaffen Jugendliche in ihrer Identitätsfindung zu beeinflussen und mit unterschiedlichen Lockmitteln für ihre Sache zu gewinnen.

Hier gilt es mit Prävention und Willkommenskultur Alternativen zu bieten. Natürlich wird man auch hier in einem Land mit über 80 Mio. Einwohnern nicht vermeiden können, dass es geschickt und perfide agierenden Gruppierungen gelingen wird, weiterhin Menschen für ihre gesellschafts- und demokratiefeindlichen Bestrebungen zu locken.

Sollen sich muslimische Verbände von islamistischen Extremisten distanzieren?

Diese Frage möchte ich mit folgender Gegenfrage beantworten:

Sollten sich deutschstämmige von den NSU-Terroristen distanzieren?

Muss man sich vom Terror distanzieren?

Nein!

Die Moscheenvereine, auch in unserer Umgebung, machen viel für das Miteinander und freuen sich über jeden Besuch und über Anfragen des Dialogs. Vielleicht sind die öffentlichen Veranstaltungen dieser Vereine nicht ausreichend in der Presse veröffentlicht, ich kenne aber keinen Moscheenverein in unserer Region, der Besuch und Dialog ablehnt.

Dennoch möchte ich sagen, dass der interreligiöse Dialog noch weiter ausgebaut werden kann. In jedem Fall gibt es noch Potenzial Vorurteilen und Ängsten entgegen zu wirken. Hierzu braucht es aber Bewegung aus allen Richtungen.

Meine Damen und Herren,

der Irrglaube, „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ hat uns viel zu viel wertvolle Zeit gekostet und die Herausforderungen von heute auf morgen vertagt.

Ich lade sie ein, weiterhin kritisch zu sein, aber ich lade sie auch ein, diesen ständigen Prozess des Auslotens der gemeinsamen Werte und unserer gemeinsamen Zukunft sachlich und fair mitzugestalten.

Lassen sie sich nicht von Angstreibern instrumentalisieren. Angst war und ist immer ein schlechter Ratgeber.

Mit freundlichen Grüßen

Ziya Yüksel

 

Print Friendly, PDF & Email [4]