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Sina Trinkwalder bei „Schweitzer trifft…“: „In der Wirtschaft gibt es für jeden einen Platz“

4. Dezember 2013 | Kategorie: Allgemein, Kreis Südliche Weinstraße, Politik regional, Regional

Lebhafte Diskussion: Unternehmerin Sina Trinkwalder und Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD).
Fotos: Licht/pfalz-express.de
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Kapellen-Drusweiler – „Es gibt in diesem Land nicht zu wenig Arbeitsplätze, es gibt nur zu wenige engagierte Unternehmer.“

Sina Trinkwalder, sogenannte „Sozialunternehmerin“ aus Augsburg, holte während der Dialogreihe „Schweitzer trifft…“ mit Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) zum Rundumschlag aus – gegen die gängig Unternehmerpraxis in Deutschland und auch gegen die Politik.

Trinkwalder, ehemals Werbe-Frau, gründete vor drei Jahren das Textilunternehmen „manomama“, um schwer vermittelbare Arbeitskräfte wieder in Lohn und Brot zu bringen: „Jeder hat seine Fähigkeiten. Und für Jeden gibt es Arbeit“, lautet ihr Credo.

Heute beschäftigt sie 140 Menschen, die allenfalls als „Sozialkrüppel“ gälten und die kein Jobcenter mehr hätte vermitteln können: Menschen mit Handicap, Ältere, Alleinerziehende. 10 Euro die Stunde Grundgehalt ist allen Beschäftigten sicher, wer mehr leisten möchte, erreicht auch schon mal einen Lohn von 14 oder 15 Euro. Eingebracht hat sie ihr Eigenkapital von 2 Millionen Euro. Staatliche Mittel oder Bankkredite gab es nicht: Ein Unternehmensprojekt wie ihres sei weder für Politik noch Banken interessant gewesen, erzählt Trinkwalder.

Das dürfte sich allmählich ändern, Trinkwalder ist zum Medienliebling avanciert. Dennoch will sie es halten wie bisher: “Wir sind frei und niemandem verpflichtet. Nach Abzug aller Ausgaben bleibt mindestens eine schwarze Null übrig.“

Gewinne werden umgehend in neue Arbeitsplätze investiert. „Und wenn was übrig bleibt, verfressen wir das zusammen“, sagt die Liebhaberin deutlicher Worte, die laut eigenen Angaben einen hirarchielosen Umgang mit ihren Abgestellten pflegt. „Wir sind alle gleich.“ Die weiblichen Mitarbeiter nennt sie „ihre Ladys“: „Weil es welche sind. Wirkliche, tolle Ladys.“

Für ihre fast 40% Arbeitnehmer mit Handicap plädierte Trinkwalder für Selbstbestimmung. So habe man ihr von Amts wegen eine Übersetzerin für eine taubstumme Mitarbeiterin aufdrängen wollen, was die Betroffene jedoch als unangenehm empfand und vehement ablehnte. Ebenso ein Mitarbeiter mit Kleinwuchs, der eine spezielle Maschine bekommen sollte. „Die Menschen wollen keine Sonderbehandlung, sondern nur ganz normal akzeptiert werden“, sagte Trinkwalder.

Über 80 Zuhörer drängten sich in der Vinothek Kimmle, um den Schlagabtausch zwischen Sozialunternehmerin und Sozialminister zu verfolgen, darunter auch zahlreiche Unternehmer. Ja, auch die gäbe es in der SPD, sagte Schweitzer, und nicht wenige.

Die anwesenden Geschäftsinhaber bekamen auch sogleich von Trinkwalder eine verbale Klatsche: Sie sei „maximal enttäuscht“, dass nicht mehr Unternehmer „Eier in der Hose“ hätten. „In der Wirtschaft gibt es für Jeden einen Platz. Man muss handeln und nicht ständig jammern.“ Übel nahm ihr den saloppen Ton niemand, im Gegenteil, Trinkwalders Schwung und bodenständiger Charme kamen an.

Überhaupt geht ihr alles viel zu langsam. Den Mindestlohn, der 2015 kommt und ab 2017 nach Auslaufen der Tarifverträge für Alle gilt, hätte sie am liebsten ab dem 1. Januar 2014 flächendeckend eingeführt. Schweitzer hielt dagegen und betonte, dass es durch das Beharren der SPD in den Verhandlungen zum Koalitionsvertrag überhaupt erst möglich geworden sei, dieses wichtige Thema tatsächlich umzusetzen. „Der Mindestlohn wäre sonst nie gekommen“, sagte Schweitzer. „Komplett ohne Kompromisse geht es nicht. Wir müssen das möglich machen, was möglich ist.“

Schweitzer erinnerte die Bayerin daran, dass man hier in Rheinand-Pfalz sei, wo der Mindestlohn bereits Gültigkeit habe. „Und es gab keinen Niedergang des Handwerks, wie zuvor Einige gerufen hatten.“

Die Chemie stimmte zwischen Minister und Unternehmerin, auch wenn die Augsburgerin weiterhin kein Blatt vor den Mund nahm und kräftig austeilte. „Eigentlich brauchen wir keine Politik, wenn wir das alles selbst anpacken“, meinte Trinkwalder. Die Politiker seien eh zu sehr mit dem eigenen Machterhalt beschäftigt, als dass sie sich ordentlich um die Bürger kümmern könnten. Das wollte der Sozialminister so nicht stehen lassen: „Die allermeisten sind nicht die Klischeepolitiker, sondern nehmen ihren Job sehr ernst und arbeiten hart.“

Nichtsdestotrotz schätzten sich die beiden Dialogpartner außerordentlich: „Planen, Diskutieren, das alles ist wichtig. Aber am Ende braucht es solche Beispiele wie Sie“, sagte Schweitzer und empfahl die Lektüre von Sina Trinkwalders Buch „Wunder muss man selber machen“. Und Trinkwalder twitterte im Anschluss: „Wunderschöner Abend mit Alexander Schweitzer. Solche Menschen braucht die Politik“. (cli)

 

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