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Rheinzabern: Bürgerversammlung zum Thema Flüchtlinge: Alles paletti

5. November 2015 | Kategorie: Kreis Germersheim, Politik regional, Regional
Bürgerversammlung in der Rheinzaberner Festhalle zum allseits gegenwärtigen Thema Flüchtlinge. Fotos: pfalz-express.de/Licht

Bürgerversammlung in der Rheinzaberner Festhalle zum allseits gegenwärtigen Thema Flüchtlinge.
Fotos: pfalz-express.de/Licht

Rheinzabern – Bei der Flut schrecklicher Bilder zum Thema Flüchtlinge in den Medien möge wohl manch Einer gar nicht mehr hinschauen, sagte Rheinzaberns Bürgermeister Gerhard Beil bei der Bürgerversammlung am 3. November.

Etwa 120 Bürger waren gekommen, die Stimmung war gelassen. In Rheinzabern war es die erste Veranstaltung dieser Art.

Es gebe Menschen, die Ängste ob der ungewöhnlichen Situation entwickeln würden, so Beil weiter, aber auch Menschen, die Ängste schürten.
Deshalb wolle man immer mit den Bürgern im Dialog bleiben, informieren und sich austauschen.

V.li.: Martina Bouché, Leiterin Abteilung Bürgerservice bei der VG Jockgrim, Pfarrer reinhard Kalker, Verbandsbürgermeister Uwe Schwind, Rheinzaberner Ortsbürgermeister Gerhard Beil.

V.li.: Martina Bouché, Leiterin Abteilung Bürgerservice bei der VG Jockgrim, Pfarrer Reinhard Kalker, Verbandsbürgermeister Uwe Schwind, Rheinzaberner Ortsbürgermeister Gerhard Beil.

„Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.“

Der Ortsbürgermeister erinnerte – auch mit einem Zitat aus Goethes „Faust“ – daran, dass noch nie etwas beim Alten geblieben wäre, Veränderungen unausweichlich zum Leben dazu gehörten.

Es habe jedoch schon seit Jahrzehnten Fakten gegeben, die auf die heutigen Entwicklungen hingedeutet hätten: Bevölkerungsexplosion, Hunger, Wassermangel, Landflucht. Da sei es verständlich, dass das reiche Europa locke – und der Ansturm hier manche Bürger ängstigten.

Dennoch solle man den Leidensweg der Flüchtlinge nicht vergessen und zuerst den Mann, die Frau, das Kind in der Masse sehen, das persönliche Schicksal. Es solle doch auch für die Neuankömmlinge in Rheinzabern gelten: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.“ (Goethe).

Mantra in allen Gemeinden: Wohnraum gesucht

„Ohne Mithilfe der Bürger geht es nicht“, sagte Beil und sprach den vielen Ehrenamtlichen Helfern seinen Dank aus. Die dezentrale Unterbringung habe bislang gut geklappt, aber „wir müssen in die Zukunft schauen“. Und wie in allen Kommunen appellierte der Ortsbürgermeister an potenzielle Vermieter, leerstehenden Wohnraum der Verbandsgemeinde zu melden.

Auch Verbandsbürgermeister Uwe Schwind sprach von einer humanitären und christlichen Pflicht gegenüber den Asylsuchenden. Diese hätten viel Leid erfahren und große Gefahren auf sich genommen, um bis nach Deutschland zu gelangen. Aufzuhalten seien sie weder von Stacheldraht noch Zäunen.

Natürlich gebe es auch in der Bevölkerung viele Ängste. Schwind riet, Kontakt mit den Flüchtlingen aufzunehmen, sich gegenseitig kennenzulernen und empfahl auch einen Besuch im neu eröffneten Café Bunt in Jockgrim: „Es gibt keine Alternative, wir müssen die gegenseitige Unsicherheit gemeinsam überwinden.“

Die Kommunen stünden nun mal am Ende der Entscheidungskette: „Wir haben zu reagieren.“ Damit solle beispielsweise Obdachlosigkeit vermieden werden, so Schwind. Wilde Zeltstädte in Rheinzabern? „Das wäre ein Schock für uns.“

Die Entscheidung, Personen aus sicheren Herkunftsländern und Drittstaaten so lange Erstaufnahmeeinrichtungen zu belassen, bis klar, sei, ob diese eine Bleibeperspektive hätten, sei richtig, um die Kommunen zu entlasten.

Schind Beil Rheinzabern Bürgerversammlung

In den Gemeinden würden die Menschen mit dem Wichtigsten versorgt: Krankenhilfe, finanzielle Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz – und natürlich Wohnraum.

Da die Verbandsgemeinde keinen eigene Wohnraum besitzt, ist sie auf Anmietung privater Wohnungen und Häuser angewiesen. Auch Schwind wiederholte mehrmals die dringliche Bitte, Leerstände anzugeben und zu fairen Konditionen zur Vermietung zur Verfügung zu stellen: „Wir sind ein guter Zahler.“

Gesucht wird Platz für etwa zehn bis zwanzig Personen, die dezentral untergebracht werden sollen.

Statistik: So viele Asylsuchende leben in der Verbandsgemeinde

Derzeit bekommen Asylbewerber folgende Leistungen (am Beispiel einer Familie): 359 Euro für den Vater, 232 Euro für die Mutter und pro Kind 217 Euro monatlich. Diese Kosten werden zu 100 Prozent vom Kreis ersetzt.

In der Verbandsgemeinde Jockgrim leben 13,4 Prozent der vom Kreis zugewiesenen Asylsuchenden, was 144 Personen entspricht.

22 leben in Hatzenbühl, 65 in Jockgrim, 24 in Neupotz und 28 in Rheinzabern. Fünf Personen seien momentan „in Heimen oder Krankenhäusern“, berichtete Schwind. Insgesamt handelt es sich um 80 Männer, 26 Frauen und 33 Kinder oder Jugendliche.

Viel Zeit auf eine Zuweisung zu reagieren bleibt nicht. Mit Vorlauf von nur einer Woche werden zwei bis fünf Personen vom Land in die Gemeinde geschickt.

Es sei eine Kunst, in dieser Zeit den passenden Wohnraum zu finden und mit dem Nötigsten auszustatten, sagte der Verbandsbürgermeister. Zudem achte man darauf, dass Ethnie und Religion passten: „Konflikte aus den Heimatländern brauchen wir hier nicht.“

Auch müssten sich die Flüchtlinge selbstverständlich den hiesigen Regeln beugen. Straftaten würden verfolgt, aber bislang habe es keine gegeben – in den letzten drei Jahren lediglich zwei Mal Reibereien von Flüchtlingen untereinander.

Bis zum Jahresende werden wohl 160 Asylsuchende in der Verbandsgemeinde leben. Die Prognosen sind schwierig.
Im nächsten Jahr werden – Stand November 2015 – nochmals 160 erwartet. Das seien etwa ein bis zwei Prozent der Bevölkerung, sagte Schwind. “Diese Menschen kann man integrieren.“

Ständig im Einsatz

Wie überall muss auch in der Verbandsgemeinde Jockgrim das Personal in der Verwaltung aufgestockt werden. Im Augenblick habe das Thema Asylbewerber oberste Priorität, so Schwind, aber auch das normale Tagesgeschäft müsse natürlich bewältigt werden.

Dafür gab es Lob vom Verbandsbürgermeister für Mitarbeiter, Ehrenamtler und den Migrationsbeirat für unermüdlichen Einsatz.

Dürfen Asylbewerber arbeiten?

Asylbewerber in Lohn und Brot zu bringen, ist nicht ganz einfach. Zwar dürfen sie nach dreimonatigem legalen Aufenthalt arbeiten, aber meist ist die Sprachbarriere ein echtes Hindernis. Deshalb ist meist nur ein Praktikum möglich.

Für die Kinder besteht Schulpflicht, auch den Kindergarten dürfen sie besuchen. Immerhin: Ein Bäcker in der VG hat einen Flüchtling als Auszubildenden angenommen – eine für beide Seiten befriedigende Lösung: Ausbildung für den Asylbewerber, und eine lange leerstehende Lehrstelle ist endlich besetzt.

Unmöglich ist es nicht, eine Arbeitsstelle zu finden: Der ebenfalls anwesende ehemalige Neupotzer Bürgermeister Emil Heid hat es geschafft, bislang acht Asylsuchenden eine Arbeitsstelle zu vermitteln.

Nicht den Hassparolen verfallen

Pfarrer Reinhard Kalker sagte, derzeit bestehe eine Überforderung von „oben und von unten“.

Reinhard Kalker Jockgrim

Es herrsche Verunsicherung in der Bevölkerung und viel Angst vor Veränderungen. Angst sei aber ein schlechter Ratgeber. Man solle die Flüchtlinge nicht anfeinden und schon gar nicht Hassparolen verfallen: „Das hat Deutschland schon gehabt. Und Mauern und Zäune auch.“

500 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte habe es in diesem Jahr bereits gegeben.“Wehret den Anfängen“, so Kalker. „Keine Toleranz gegenüber Intoleranz.“

Kalker warb ausführlich für einen näheren Kontakt mit den Neuankömmlingen und berichtete von seinen positiven Erfahrungen als Helfer.

Bürgerfragen

Bis die Bürger zu Wort kamen, dauerte es seine Zeit. Viele Fragen gab es aber dann doch nicht.

Ob in Altenheimen Zimmer zusammengelegt werden müssten, um Platz für Asylbewerber zu schaffen, fragte eine in diesem Bereich tätige Frau. Man erzähle sich das im Ort. Diese Frage verneinte Schwind in aller Deutlichkeit.

Müssen Asylbewerber in Familien untergebracht werden? Ebenfalls nein, dafür gebe es das Patensystem.

Können leerstehende Wohnungen beschlagnahmt werden, lautete eine weitere Frage. Es gebe keine Zwangsbeschlagnahmungen, versicherte Schwind. Die Verwaltung brauche immer die Zustimmung des Eigentümers: „Niemand kann verpflichtet werden.“

Bestehe die Gefahr des Einsickerns von Assad- oder IS-Schergen, wollte ein andere Bürger wissen. Er habe keine Lust, „einen Kinder-Folterer zu betreuen.“

Die zugewiesene Personen seien vorab in den Erstaufnahmeeinrichtungen registriert worden, so Schwind. Insofern sei dies recht unwahrscheinlich. Gerhard Beil sagte, man könne es sich nicht aussuchen, wer hergeschickt werde, aber die Personen müssten natürlich zuvor identifiziert werden.

Auch Fragen nach Spendenabgabestellen wurden gestellt. Reinhard Kalker verwies auf die Wörther Tafel als Ansprechstelle, die man aber zuvor telefonisch kontaktieren solle. Besonders Fahrräder würden gebraucht, um den Menschen ein Mindestmaß an Mobilität zu verschaffen.

Auch bei der VG-Verwaltung könne man anrufen und sich informieren.

Ortsbürgermeister Beil dankte abschließend den Bürgern für die „Sachlichkeit und Ruhe“, mit der der Abend verlaufen sei.

Weitere Themen des Abends waren die Umplanung des Friedhofs und die Straßensanierung, die noch etwa 80 Bürger verfolgten und diskutierten. (cli)

Emil Heid, Neupotzer Bürgermeister a.D., engagiert sich für Flüchtlinge.

Emil Heid, Neupotzer Bürgermeister a.D., engagiert sich mit großem Erfolg für Flüchtlinge.

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