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Pfalz-Express-Interview mit Marc Watgen: „Wir wollen für duale Ausbildung werben und fragwürdigem Run auf Hochschulen entgegensteuern“

31. August 2016 | Kategorie: Landau, Regional, Wirtschaft in der Region
Marc Watgen, Leiter des Landauer Dienstlesitungszentrums der IHK Pfalz. Foto: Pfalz-Express/Ahme

Marc Watgen, Leiter des Landauer Dienstleistungszentrums der IHK Pfalz, stand dem Pfalz-Express Rede und Antwort.
Foto: Pfalz-Express/Ahme

Landau. Der Pfalz-Express (PEX) sprach mit Dipl.-Phys. Marc Watgen, Leiter des IHK-Dienstleistungszentrum Landau über regional-spezifische Aspekte der IHK-Arbeit, speziell auch über Wirtschafts-und Ausbildungsförderung in der Region Südpfalz.

PEX: Herr Watgen, 30.000 Fachkräfte fehlen bis 2030, gleichzeitig gibt es eine Abiturientenquote von 60 Prozent, von denen wiederrum 2/3 zur Uni gehen und nur 1/3 in die Duale Ausbildung.
Wie kann man dieser Entwicklung entgegensteuern?

Mit „durchstarter.de“ hat die IHK Pfalz Anfang des Jahres zusammen mit den drei andern rheinland-pfälzischen Industrie- und Handelskammern eine Imagekampagne gestartet. Vor allem mit Blogs und in den sozialen Netzwerken wollen die vier Kammern damit bei Schülern und Jugendlichen für die duale Ausbildung werben und so einen starken Gegenpunkt zum anhaltenden und volkswirtschaftlich fragwürdigen „Run“ auf die Hochschulen setzen.

In der Tat sind einige Bildungsexperten der Meinung, dass der Bedarf an Akademiker auch längerfristig bei lediglich 20-25 % eines Jahrgangs liegt. Passend zu deren These zeigt ein Blick auf die Jugendarbeitslosigkeit in den europäischen Ländern, dass es einen Zusammenhang zwischen einer hohen Abiturienten- oder Studierendenquote und einer hohen Jugendarbeitslosigkeit in diesen Ländern gibt.

In einer gemeinsamen Veranstaltung der Landauer Agentur für Arbeit und der Arbeitsge-meinschaft Wirtschaftsförderung Südpfalz (der die Kreise SÜW, GER und die Stadt Landau, neben HWK und IHK Pfalz angehört) wurde am 26. April diesen Jahres die große Öffentlichkeit in das Alte Kaufhaus nach Landau eingeladen, um über das Thema „Fachkräftesicherung durch noch mehr Akademiker ?“ nachzudenken. Dr. Joachim Gerd Ulrich vom Bundesinstitut für Berufsbildung referierte in diesem Zusammenhang zum Thema „Berufsorientierung Jugendlicher im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichem Bedarf, Zeitgeist und individuellem Nutzenkalkül“.

Auch an den Schulen zeigt die IHK Pfalz Flagge. Im Rahmen des Projektes „dein weg“ sind drei IHK-Mitarbeiterinnen in den allgemeinbildenden Schulen, an Elternabenden und auf Bildungsmessen vor Ort und versuchen das Bewusstsein der Schüler und auch deren Eltern für die richtige Berufswahl zu schärfen und die vielen Karrierechancen mit der dualen Ausbildung aufzuzeigen. Mit „Berufsexpeditionen“ und „Orientierungstouren“ organisiert die IHK Pfalz Betriebsbesichtigungen von Schülern in Ausbildungsbetriebe, um so einen Einblick in den Arbeitsalltag zu verschaffen.

Schlussendlich nutzt die IHK Pfalz auch ihr vielgelesenes IHK Magazin, um auf die guten Karriereperspektiven mit dem dualen Bildungssystem hinzuweisen. Diesbezüglich hat sich der Pfälzer IHK-Präsident, Herr Hornbach mit seiner Mannheimer IHK-Kollegin, Frau Abt auf einen gemeinsamen „Standpunkt“ in beiden IHK- Magazinen zum Thema „Aufwertung der beruflichen Bildung“ verständigt.

PEX: Gibt es denn in Landau schon eine Kooperation zwischen Uni und IHK?

Wir sind in regelmäßigem Austausch mit der Universität vor Ort, wobei wir uns insbesondere zu Fragen der Existenzgründung, des Technologietransfers und des Arbeits- und Ausbildungsmarktes austauschen.

PEX: Wie wichtig ist die IHK für den Ausbildungsmarkt?

Das Berufsbildungsgesetz spricht von zuständigen Stellen für die Organisation der dualen Ausbildung in Deutschland. Hierbei sind die 80 IHKs die größte Gruppe der zuständigen Stellen. Diese sind für die Organisation der nicht-handwerklichen Gewerbeberufe zuständig, was immerhin fast 2/3 aller Berufsbildungsverträge in Deutschland und bis zu einer Million Auszubildende bundesweit anbetrifft.

Die IHK Pfalz selbst betreut mit einem kompetenten Team, sowie zahlreichen ehrenamtlichen Prüfern und Helfern etwa 13.000 Auszubildende in der Pfalz, zusätzlich sind 5 Ausbildungs-berater täglich bei vielen der etwa 3000 Ausbildungsbetrieben der Pfalz vor Ort.

PEX: Wie könnte man junge Leute von der Uni „abziehen“ und einem Ausbildungsberuf „zuführen“?

Durch das kontinuierliche und politisch gewollte Absenken der Leistungsanforde-rungen von Sekundarschulabschlüssen wird insbesondere die Leistungsstufe zwischen (Fach-) Abitur und Studieneinstieg immer höher. Das führt zu einer verstärkten Studienabbruchquote insb. in den ersten Studiensemester.

Im Schnitt brechen 30% eines Jahrgangs ihr Studium vorzeitig ab. IHKs bieten deshalb Studienaussteigern einen vereinfachten Wechsel in das Berufsleben. Studierende haben in Rheinland-Pfalz die Möglichkeit, auf ihre Leistungen aus der Hochschule aufzubauen, wenn sie aus dem Studium ins Berufsleben wechseln möchten. Diese Option bieten die Industrie- und Handelskammern (IHKs) im Land den Studierenden für den Fall eines Studienabbruchs an, um ihnen einen attraktiven Weg ins Berufsleben zu ebnen.

PEX: In der Südpfalz sind viele Lehrstellen frei – in Frankreich gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wie zeigen sich Bemühungen zwischen den beiden Nachbarn, sich hier zu ergänzen?

Der französische Präsident Hollande wirbt verstärkt für die Duale Ausbildung und insbesondere für eine solche Ausbildung in Zusammenarbeit mit Betrieben in Deutschland. Im Oberrhein haben im September 2013 28 institutionelle deutsche und französische Partner eine Rahmenvereinbarung unterzeichnet, die diese Ausbildung über die Grenzen hinweg unkomplizierter und auch günstiger machen soll. Seit 2010 haben mittlerweile 225 Jugendliche die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Ausbildung genutzt.

Aktuell werden mit finanzieller Unterstützung der europäischen Union im Rahmen der Initiative Interreg, sowie unter der Koordination der Region Elsass bzw. ‚Grand Est‘ diese Rahmenbedingungen im Oberrhein weiter verbessert. Konkret möchte man die Jugendlichen beiderseits der Grenze für eine Ausbildung im Nachbarland begeistern und sie hierzu sprachlich vorbereiten und unterstützend begleiten.

PEX: Sie sprachen von der Möglichkeit einer Doppel-Qualifizierung. Ist das eine Doppelausbildung in Deutschland und Frankreich? Und wie sieht die aus?

Im Elsass können Jugendliche nach dem Abitur eine zweijährige duale Handelsausbildung (GUC, Gestionnaire d’Unité Commerciale), die von der IHK Straßburg organisiert wird, absolvieren. In Verbindung mit der berufsbildenden Schule in Wissembourg bieten auch Pfälzer Unternehmen den jungen Franzosen Ausbildungsplätze für dieses „GUC“ an. Nach zwei Jahren erwerben diese Auszubildende im Erfolgsfall das französische Ausbildungsdiplom.

Danach besteht für sie die Möglichkeit ein drittes Jahr im deutschen Ausbildungsbetrieb zu absolvieren, wobei sie eine berufsbildende Schule in der Pfalz besuchen. Schlussendlich können sie ihre Abschlussprüfung zum Groß- oder Einzelhandels-Kaufmann / Kauffrau vor einem deutschen IHK-Prüfungsausschuss ablegen. Insgesamt besteht somit die Möglichkeit, zwei verschiedene Berufsbildungsabschlüsse zu erwerben, die für zwei Arbeitsmärkte in den beiden Ländern qualifizieren.

PEX: Wer ist David Heil, wo arbeitet er und was ist seine Besonderheit?

David Heil wird voraussichtlich der erste junge Elsässer sein, der diese grenzüberschreitende Doppel-Qualifizierung GUC/Handelskaufmann erfolgreich abschließen wird. Im Frühjahr 2014 kam der Abiturient David Heil anlässlich einer Berufsorientierungstour in die Pfalz und lernte im Unternehmen HORNBACH die Vorzüge der dualen Handels-Ausbildung in Deutschland kennen.

Bei der Firma UFER in Landau unterschrieb er kurze Zeit später einen Ausbildungsvertrag zum Großhandelskaufmann. Das SAT1-Regionalfernsehn begleitete ihn anlässlich einer Reportage über die grenzüberschreitende Ausbildung auf seinem Weg zwischen Wissembourg und Landau. Im Sommer diesen Jahres hat er erfolgreich das französische Ausbildungsdiplom ‚GUC‘ erworben, so dass er jetzt ab Herbst 2016 die berufsbildende Schule in Landau besuchen wird

PEX: Großes Thema ist die Unterbringung von Flüchtlingen in den 1. Arbeitsmarkt. Wo sehen Sie Möglichkeiten und wo Probleme (z.B. mangelnde Deutschkenntnisse)?

Positiv sehen wir, dass es unter den Flüchtlingen viele junge Männer gibt, die hochmotiviert und voller Elan einer Beschäftigung in Deutschland entgegenstreben.

Probleme sehen wir in den oft noch sehr mangelhaften Deutschkenntnissen, langen behördlichen Entscheidungs-wegen, sowie fehlender bzw. nicht nachgewiesener Ausbildungskenntnissen. Gerade was letztgenannten Punkt anbetrifft, kann die IHK Pfalz mit ihrem künftigen Kompetenzcheck helfen, weitere Brücken in die Beschäftigung hinein zu bauen.

PEX: Was bedeutet das neu eingeführte Entsendegesetz für Arbeitsplätze von Deutschen in Frankreich?

Ein kürzlich in Frankreich in Kraft getretenes Gesetz zur umfangreichen Anzeige der Entsendung ausländischer Arbeitnehmer nach Frankreich wird voraussichtlich kaum Einfluss auf die Arbeitsplätze von Deutschen in Frankreich haben.

Es entpuppt sich für die entsendenden deutschen Arbeitgeber jedoch als weitere zeitraubende Bürokratiehürde. Hintergrund des Gesetzes ist die Überwachung von Mindestlohn und Arbeitszeiten ausländischer Arbeitnehmer in Frankreich. Französische Firmen beklagen sich nämlich zunehmend über unlautere Konkurrenz vor allem osteuropäischer Firmen, die ihre Mitarbeiter nach Frankreich entsenden, wobei sie französische Gesetze unterwandern würden. (desa)

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