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Parkinson-Patienten: Lebensqualität kann durch Hirnstimulation verbessert werden

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Parkinson-Patient mit Neurostimulation im Kernspintomografen: Zwei Elektroden wurden bis zum Nucleus subthalamicus eingeführt, der elektrisch stimuliert werden kann. Die motorischen Symptome der Krankheit lassen nach. Die Steuerung erfolgt über einen unter dem Schlüsselbein implantierten Regler. (Foto: Universitätsmedizin Kiel)

 

Berlin. Die motorischen Störungen und die Lebensqualität von Parkinson-Patienten können in einem früheren Krankheitsstadium durch die Tiefe Hirnstimulation (THS, Neurostimulation) verbessert werden, berichtet  die Deutsche Gesellschaft für Neurologie.

Das operative Verfahren kommt derzeit lediglich bei medikamentöser Therapieresistenz mit schwersten Symptomen nach mehr als zehnjähriger Krankheitsdauer zum Einsatz. Laut einer lange erwarteten Studie mit 251 Parkinson-Patienten im frühen Krankheitsstadium, die morgen im New England Journal of Medicine veröffentlicht wird, ist die frühe Neurostimulation der alleinigen Gabe von Medikamenten überlegen.

„Diese Daten werden wahrscheinlich die Leitlinien zur Behandlung der Krankheit verändern, sodass die Neurostimulation schon viel früher beim Morbus Parkinson genutzt werden kann und deutlich mehr Parkinson-Patienten diese Therapieoption erhalten“, erklärt Professor Günther Deuschl, Direktor der Kieler Universitätsklinik für Neurologie und einer der beiden Senior-Autoren der deutsch-französischen Studie, die vom Bundesministerium für Forschung und Entwicklung (BMBF) mitfinanziert worden war. „Dies ist eine der am präzisesten durchgeführten Studien zur Neurostimulation“, kommentiert Caroline M. Tanner vom Parkinson’s Institute Sunnyvale in Kalifornien im Editorial des Fachmagazins.

Neun deutsche und acht französische Universitätskliniken waren an der Untersuchung beteiligt, die Professor Deuschl – einer der maßgeblichen Wegbereiter der THS – initiiert und gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Professor Yves Agid (Centre Hospitalier Universitaire Pitié-Salpêtrière, Paris) und den Forschern der EARLYSTIM Study Group durchgeführt hat. Die 251 Teilnehmer waren im Durchschnitt 52 Jahre alt und seit 7,5 Jahren an Morbus Parkinson erkrankt, bevor sie randomisiert entweder nur Medikamente erhielten oder zusätzlich bilateral in einer stereotaktischen Operation stimulierende Elektroden in den Nucleus subthalamicus implantiert bekamen. Die Elektroden werden von einem Schrittmacher unter der Haut angeregt. Ein wichtiges Kriterium für die Teilnahme war, dass die Patienten eine gute L-Dopa-Sensitivität zeigten.

Verbesserte Lebensqualität und Verbesserung der Motorik

Bei der Lebensqualität, dem Hauptkriterium der Studie, zeigte sich ein beträchtlicher Zugewinn für die implantierten Patienten: Anhand des Parkinson’s Disease Questionnaire (PDQ-39) verbesserten sie sich um annähernd 26 Prozent von durchschnittlich 30,2 auf 22,4 Punkte. Die nur medikamentös behandelten Patienten verschlechterten sich dagegen um 0,2 Punkte. „Die Verbesserung der Lebensqualität durch die Tiefe Hirnstimulation (THS) bestätigt frühere Ergebnisse für länger erkrankte Patienten mit schwersten Symptomen“, so Deuschl. Dies war nicht erwartet worden, weil die Krankheit in diesem Stadium auch noch medikamentös behandelt werden kann. Entsprechend hatte sich auch die soziale Anpassungsfähigkeit der Patienten signifikant verbessert.

Positiv überrascht hat den Neurologen, dass die operierten Patienten auch bei fast allen sekundären Endpunkten der Studie besser abschnitten: Die Aktivitäten des täglichen Lebens – gemessen Anhand der Skala UPDRS-II – verbesserten sich bei den Implantierten von 15,0 auf 10,5. Ohne THS verschlechterte sich dieser Wert dagegen von 14,8 auf 16,5. Die Mobilität im schlechtesten Zustand (UPDRS-III) verbesserte sich mit der THS von 33,2 auf 15,7, was einer Verbesserung von 53 Prozent entspricht. Nur mit Medikamenten gab es erwartungsgemäß wenig Veränderung (33,0 zu 31,8). Auch im Teilbereich IV der UPDRS-Skala – den durch L-Dopa induzierten Komplikationen – verbesserten sich die tiefhirnstimulierten Patienten deutlich (um 61 Prozent) und schnitten somit wie in den anderen Bereichen hochsignifikant besser ab als Patienten ohne Neurostimulation.

Positiv wirkte sich die Neurostimulation auch auf den Medikamentenverbrauch aus: Die tägliche L-Dopa-Äquivalenzdosis reduzierte sich um 39 Prozent, ohne THS nahm sie im Untersuchungszeitraum um 21 Prozent zu. Keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen fanden sich bei den kognitiven Fähigkeiten der Probanden und deren Apathie.

Risiken der Behandlung

Da die THS einen neurochirurgischen Eingriff erfordert, waren in dieser Gruppe mehr Nebenwirkungen erwartet worden. Tatsächlich verzeichneten die Ärzte bei den 124 Operierten 68 schwerwiegende Ereignisse, darunter 27 Mal operative Nebenwirkungen, die jedoch bis auf einen Fall (störende Narbe) folgenlos blieben.

Unter den 127 nur medikamentös behandelten Patienten war es zu 56 schwerwiegenden Nebenwirkungen gekommen. Insgesamt, so Deuschls Beobachtung, haben die jüngeren Patienten in dieser Studie die Operation aber besser vertragen, als dies bei früheren Studien mit älteren Patienten der Fall war. Im Laufe der Studie waren drei Todesfälle durch Suizid zu beklagen. Zwei davon traten in der THS-Gruppe auf, einer in der Medikamentengruppe. Zusätzlich gab es in jedem Studienzweig zwei belegte Suizid-Versuche.

Dieser Vergleich deutet darauf hin, dass nicht die Behandlung THS Suizide auslöst, wie bisher vermutet, wahrscheinlich entschließen sich aber mehr risikobereite Patienten für die Operation. „In jedem Fall ist daher bei der Neurostimulation ein engmaschiges Monitoring auf suizidale Tendenzen notwendig“, so Deuschl.

Forschungsbeitrag aus Deutschland

Finanziert wurde die Studie mit Geldern des deutschen Bundesforschungsministeriums, des französischen Programmes Hospitalier de Recherche Clinique National und durch die Firma Medtronic, dem Hersteller der implantierten Neurostimulatoren. Das Unternehmen hatte keinen Einfluss auf das Protokoll, betont Deuschl: „Die Studie ist ein Beispiel dafür, wie man auf Augenhöhe mit der Industrie zusammenarbeiten und seine Unabhängigkeit bewahren kann“, so der Co-Studienleiter. Mehrere weitere Faktoren hätten zu den guten Ergebnissen beigetragen: Beteiligt waren ausschließlich erfahrene Zentren, in denen die Versorgung durch ein multidisziplinäres Team geleistet wurde. Wichtige Grundlagen hat auch die DGN-Arbeitsgemeinschaft Tiefe Hirnstimulation gelegt. „Dieser Zusammenschluss von Klinikteams, der in den vergangenen Jahre in Deutschland ein leistungsfähiges Netzwerk etabliert hat, hat die aktuelle Studie erst möglich gemacht hat“, lobt Deuschl.

Die Parkinson-Krankheit ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Weltweit sind rund 4,1 Millionen Menschen an Morbus Parkinson erkrankt – das entspricht knapp zwei Prozent der Bevölkerung im Alter von über 60 Jahren. In Deutschland sind etwa 250 000 bis 280 000 Personen betroffen. Studien gehen davon aus, dass sich die Zahl der Patienten bis 2030 wegen des zunehmenden Altersdurchschnitts weltweit auf 8,7 Millionen verdoppelt. (life PR)

 

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