Offener Brief eines französischen Staatsbürgers an die deutsche Politik: Ich werde nicht wählen, weil…

11. September 2013 | Kategorie: Politik, Politik regional

Viele in Deutschland lebende Ausländer wünschen sich, an Wahlen teilnehmen zu dürfen, ohne ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft aufgeben zu müssen.
Foto: dts Nachrichtenagentur

SÜW – „Ich werde nicht wählen, weil die Gesetzgebung der Bundesrepublik bezüglich Wahlrechts sehr restriktiv ist“, schreibt der Franzose Jean-Jacques Sarton, der seit 40 Jahren in Deutschland lebt, und kritisiert dabei das Wahlrecht für Deutsche, die im Ausland leben als auch für Ausländer, die in Deutschland leben.

„Manche Deutsche, die im Ausland leben, werden nicht an den kommenden Bundestagswahlen teilnehmen dürfen. 2009 haben zwei junge Frauen, die in Belgien leben, eine Klage erhoben, weil sie als Deutsche nicht wählen durften. Das Verfahren landete schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht und beiden Damen wurde recht gegeben. Die damalige Fassung des Bundeswahlgesetzes (BWG) wurde als verfassungswidrig eingestuft. Die Anforderung, in Deutschland für mindestens drei Monate angemeldet zu sein, schien den Richtern nicht angebracht. Dementsprechend wurde das BWG korrigiert, ob der Gesetzgeber seine Kompetenzen nicht wieder überzogen hat, kann ich nur vermuten.

Fest steht, dass diese dreimonatige Anmeldedauer geblieben ist, sie wurde verschärft, indem die Anmeldung nach dem 14. Lebensjahr erfolgen muss. Ich glaube nicht, dass die klagenden Frauen darüber erfreut sein werden.

Um sicher zu gehen, wurden Deutsche, die seit mehr als 25 Jahren fortgezogen sind, ebenfalls aus der Teilnahme an den Wahlen ausgeschlossen, es sei denn, sie können beweisen, dass sie unmittelbar von der deutsche Gesetzgebung betroffen sind und dass sie sich immer noch mit der deutschen Gesellschaft auskennen. Diese letzte Restriktion wird dadurch gemildert, dass Beispielsweise Grenzgänger weiterhin wählen dürfen.

Dem Gesetzgeber ist bei der Formulierung des Artikels aber entgangen, dass ein Deutscher, der im EU-Ausland lebt, immer von der deutschen Politik betroffen ist. Auf EU-Ebene wird einerseits das EU Parlament durch Direktwahlen bestimmt, anderseits werden die Kommissare von den Regierungen benannt.

Ebenso ist ein 14 Jähriger, der seinen Eltern in der Schweiz, Österreich oder einen ganz anderen Staat folgt, dort eine deutschsprachige Schule besucht, vom Wahlrecht ausgeschlossen, wenn er 18 Jahre wird. Eine Rückkehr kann nicht ausgeschlossen werden, Verbindungen mit der Heimat existieren immer noch.

 Wie sieht es nun mit Bürgern Deutschland aus, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht besitzen?

 Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zeigt, dass Bürger, die unmittelbar von der Gesetzgebung betroffen sind, wahlberechtigt sein sollten, sofern sie ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache und Gesellschaft besitzen. Einziger Punkt, der nicht zutrifft ist, dass sie nicht dem Volk angehören. Dies war aber nicht Gegenstand des Urteils, es ging hier um Volksangehörige. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Nicht-Staatsangehörigen auch zum Wohl der Gesellschaft einen immensen Beitrag leisten.

Als Steuerzahlen werden sie als Inländer behandelt und finanzieren somit die Parteien, die Abgeordneten und die Regierungen. Mancher dürfte durch seine Arbeit, die Firma, die er gegründet hat, einen nicht zu vernachlässigenden Beitrag leisten.

Anders herum, was spricht gegen ein Wahlrecht für Nicht-Deutsche, die sich in der Gesellschaft integriert haben, in Vereinen tätig sind, möglicherweise einen Ehrenamt begleiten ?

Die Antwort mancher Parteien ist die Einführung der doppelte Staatsangehörigkeit. Man merkt schon daran, dass die Urheber dieser Programmpunkte keinerlei Kenntnisse des Lebens und des Völkerrechtes besitzen. Ein Mensch, der beispielsweise Kind eines Österreichers und eine Französin ist und in Deutschland zur Welt gekommen ist, besitzt schon drei Staatsangehörigkeiten: Österreicher und Franzose durch Abstammung sowie die Deutscher, weil er hier geboren ist. Eine mehrfache Staatsangehörigkeit (in der Regel eine doppelte) wird auch Personen gewährt, die aus Staaten, die ihre Angehörigen nicht entlässt oder aber für Schweizer und EU-Bürger, die die ursprüngliche Staatsangehörigkeit behalten dürfen.

Eine mehrfache Staatsangehörigkeit löst auch nicht das Problem der politische Teilhabe. Viele Migranten, vorwiegend die der ersten Generation, können Gründe haben, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zu erwerben. Diese Gründe können in der Weltanschauung, in der emotionalen Bindung zur Herkunftsland oder in irgend welche andere Überlegung begründet sein. Die Gründe, die dazu führen sollten keine Rolle spielen – das Grundgesetz garantiert das Recht auf eine eigene Weltanschauung. Diskriminierungen aus diesen Grund sind eigentlich nicht zulässig.

Wäre es nicht sinnvoll, die Begriffe Volk und Bevölkerung anzugleichen? Vom ethischem Standpunkt aus wäre es wünschenswert. Eine Gesellschaft, die Menschen ausgegrenzt, die einseitig Gesetze beschließt, die ausgegrenzt, ohne diesen Menschen angehört zu haben, verdient nicht die Bezeichnung Demokratie. Wenn ein Nicht-Deutscher 18 Jahre seines Leben in Deutschland verbracht hat, sollte er nicht die gleiche Rechte besitzen wie ein 18-Jähriger, der hier geboren ist?

Ebenso sind viele Gesetze, die Menschen, die im Ausland leben oder aus dem Ausland kommen, unverständlich. Ein junger Mensch, dessen Eltern Nicht-Deutsche sind, der aber in Deutschland geboren ist, wird seit 2000 automatisch deutsch. Mit 18 – spätestens mit 23 – muss er sich für die Deutsche Staatsangehörigkeit oder die der Eltern entscheiden. Wen einer der Eltern Deutscher ist, entfällt dieser Optionszwang.

Wie sieht es aus mit einem Menschen aus, dessen Eltern Schweizer sind? Schweizer dürfen aufgrund eines Abkommens mit der EU die schweizerische Staatsangehörigkeit behalten. Das entsprechende Gesetz, das laut einige Juristen als fragwürdig beachtet wird, ist nicht wohl bedacht. Viele weitere Beispiele solche Asymmetrien der Gesetzgebung könnten aufgeführt werden.

Persönliches:

Ich lebe seit mehr als 40 Jahre in Deutschland, und bin mit einer deutschen Frau verheiratet. Wir haben drei Söhne.

Ich bin in meinem (Wahl-) Heimatdorf engagiert und 2. Vorsitzender des Vereins, der die Verbindungen zu unserer französischen Partnergemeinde aufrecht erhält. Einer weiterers Ehrenamt habe ich auch. Eine zusätzliches Engagement dürfte demnächst folgen (Leitung einer Selbsthilfegruppe).

Einen Mangel an Integration kann mir also nicht vorgeworfen werden. Die deutsche Staatsangehörigkeit kommt für mich nicht in Frage, dies entspricht nicht meine Weltanschauung. Eine Verfassung, die Menschenrechte nur Deutschen zubilligt, obwohl es eigentlich nur eine Menschenrasse gibt, kann ich nicht ohne weiteres akzeptieren.

Das Wahlrecht sollte nicht nur eine Frage der Staatsangehörigkeit, sondern auch eine Frage des Lebensmittelpunkts sein.

So mancher Politiker versteckt sich hinter dem Grundgesetz, um nicht über eine Erweiterung des Wahlrechts nachzudenken. Dabei wird offenbar übersehen, dass das Grundgesetz eine kleine Tür offen gelassen hat. Oben Aufgeführtes – Beispiel der Staatsangehörigkeit aufgrund des Geburtsorts – zeugt davon.

Relikte aus alten Zeiten wie Nationalismus und Chauvinismus passen nicht mehr in eine globalisierte Welt, zumal viele Leiden daraus entstanden sind. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ ist ein bekannter Satz. Offenbar ist dieser Willen bei viele Politiker nicht vorhanden.“

Jean-Jacques Sarton

 

 

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