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Neuerscheinung von Volkskundler Helmut Seebach: „Schweiz-Pfalz-Pennsylvania“

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Volkskundler Helmut Seebach, ein waschechter Queichhambacher, hat in seinem Bachstelz-Verlag schon viele interessante Bücher über sein Spezialgebiet heraus gegeben. Nun folgt eine Neuerscheinung am 25. Juli 20015: „Schweiz-Pfalz-Pennsylvania“.

Die pfälzische Alltagskultur war bisher nicht Gegenstand der sozialwissenschaftlichen Forschung. Es herrscht bis heute allgemein und ungebrochen die Vorstellung, dass das Kulturprofil selbstverständlich mit der eigenen ethnischen Gruppe der Pfälzer zusammenhänge, so als hätten sie eine eigene kulturelle Prägung.

Diese Prämisse muss neu überdacht werden vor dem Hintergrund der größten zivilisatorischen Zäsur der Neuzeit, der 30-jährige Krieg. Dazu hat Helmut Seebach eine wissenschaftliche Studie mit dem programmatischen Titel „Schweiz-Pfalz-Pennsylvania“ vorgelegt.

Demnach ergibt sich folgende Ausgangslage:
Das Gebiet der Pfalz ist noch Jahrzehnte nach Ende des 30-jährigen Krieges nahezu entvölkert, die Siedlungen sind zerstört und das Land liegt brach. Flüchtlinge aus dem alpinen Raum, zumeist aus der Schweiz, beginnen ein friedliches Kolonisationswerk. Die Kolonisatoren sind Mennoniten und Reformierte, die nach 1708 auch in Irland und in Pennsylvania erfolgreiche Kolonisationsunternehmen begründen.

Aufgrund ihrer überlegenen Kultur in allen Bereichen des menschlichen Lebens und Wirtschaftens formen sie in ihren jeweiligen Zielländern eine neue Gesellschaft nach ihrem Glauben und nach ihren in der Alpenheimat bewährten kulturellen Mustern.
Die Mennoniten sind Agrarpioniere und die unter ihren Pflug genommenen Landschaften in der Pfalz, in Irland und Pennsylvania entwickeln sich zu Musterländern durch die Einführung neuer landwirtschaftlicher Kulturen, Geräte und Methoden.

Sie sind stets die ersten, die Flachs und Hanf, Dick- oder Runkelrüben anbauen, die in Europa neue Kultur der Kartoffeln nutzen, eine künstliche „Wechselwiese“ mit Wicken, Esparsette, Klee und Luzerne anlegen, eine moderne, technisch aufwendige Wiesenwässerung praktizieren.

Ackerbau und Viehzucht gehen bei ihnen Hand in Hand: Je mehr Futter – je mehr Vieh, je mehr Vieh – je mehr Dung, je mehr Dung – je größer der Ertrag der Äcker! lautet ihre ökonomische Grundregel, die auf der realen, praktischen Erfahrung beruht, dass die Wiese „die Mutter des Ackers“ ist.

Durch eine konsequente Stallhaltung des Viehs können Felder und Wiesen erstmals planmäßig mit Jauche und Stallmist versorgt werden. Sie führen in ihren jeweiligen Siedlungsländern den Pflug und Wagen mit eisenbeschlagenen Rädern ein, das Jauchefass und die Kornfege.

Als Viehzüchter nutzen sie die aus ihrer Heimat bewährten Rassen (Simmentaler Höhenvieh, Saaner Ziege). Eine fortschrittliche Milchwirtschaft bringt eine neue Art von Käse hervor: Hartkäse.

Fleiß und Tüchtigkeit gehören zu ihrem psychologischen Marschgepäck. Die kulturellen Hervorbringungen der Refomierten/Mennoniten/Amische sind stets religiös motiviert, jedoch kommen damit zugleich soziale und ökonomische Vorstellungen zur Entfaltung. Dies zeigt sich beispielsweise im Nahrungserwerb (Ackerbau gemäß Genesis 2,15), bei der Kleidung (Leinen gemäß 3. Buch Mose Kapitel 16,4 und Holzschuhe), im Hausbau (Großeltern-/Vorbehaltshaus), im bevorzugten Weberhandwerk als (Neben-)Beruf. Ihr protestantischer Glaube und ihr calvinistischer Arbeitsethos begünstigen einen materiellen, weltlichen Wohlstand. Doch sie streben ihn nicht um seiner selbst willen an, sondern um der Gemeinschaft Christi und um Gottes Willen.

Als Ackerbauern und zugleich Viehzüchter errichten sie das beiden Ansprüchen genügende Einfirsthaus, das später im 18. Jahrhundert zum standardmäßigen Kolonistenhaus der „Pfälzer“ Auswanderer nach Ost und West wird.

Ihre bevorzugte geschlossene Vererbung aufgrund des Anerbenrechts (Primogenitur) hat zu einer besonderen Häusergruppe u.a. auf der Sickinger Höhe geführt. Ein Generationen übergreifendes Denken (Großeltern-/Vorbehaltshaus) und eine im sozialen und ökonomischen Sinne nachhaltige Lebenspraxis (Wetterschutz/Schindelhäuser, Rampenscheune) sind handlungsorientierte Leitvorstellungen.

Haus und Hof, ihren gesamten Besitz, stellen sie unter eine spirituelle Schutzhülle mit Hilfe allerlei volksmagischer Zeichen (Andreaszeichen, Raute, Hexen- und Sternzeichen). Der christliche Glaube allein scheint nicht ausreichend für eine gesicherte Daseinsvorsorge und bedarf der Ergänzung durch praktizierte Vorstellungen des Aberglaubens (Elwetrittsche, Haus- und Stallsegen) und der Wetter- und Ernteorakel.

In allen ihren Zielländern wie Pfalz, Irland und Pennsylvania bewahrt die soziale Gruppe zunächst ihr eigenes, identisches Kulturprofil. Dabei erweisen sich die Religionszugehörigkeit und die Bevorzugung bestimmter Heiratsstrategien als bestimmende Integrationsfaktoren.

Die eigentliche Rolle der Pfalz in der Kulturgeschichte Mitteleuropas zeigt sich lediglich darin, dass sie Brückenkopf und Drehscheibe eines mächtigen Stromes und Austauschs von Menschen, Dingen und Ideen war.

Die ab 1650 einsetzende mitteleuropäische Massenmigration, wie sie sich in der modernen Geschichte Europas bis dahin noch nicht ereignet hatte, wird mit ihren fundamentalen sozialen, wirtschaftlichen und gesamtkulturellen Folgen durch eine Inventarisation vergleichbarer volkskundlicher Sachverhalte in der Schweiz, der Pfalz und in Pennsylvania erfahrbar gemacht.

Die ausgelöste Kulturströmung verlief am Oberrhein von Süden nach Norden in alles noch Bestehende einebnenden Wellen, die überall gleiche kulturelle Muster entsprechend dem Kulturprofil ihrer Träger hervorbrachten (Schwarzwald, Elsass, Odenwald). In der rückblickenden Zusammenschau ergibt sich der Eindruck einer einzigartigen oberrheinischen Kulturrevolution, die ein vollkommen neues Denken, Handeln und Wirtschaften mit sich brachte.

Sachstand ist: Die Pfälzer sind im 21. Jahrhundert aktuell dabei, die letzten Reste der überlieferten materiellen Kultur, der Sitten und Gewohnheiten der Schweizer Urahnen aufzugeben wie beispielsweise das Tragen von Holzschuhen, der Verzehr des Straubengebäcks, die Aufführung der Narrenspiele des Pfingstquack und des Hansel Fingerhut, die Verkleidung von Häusern mit Holzschindeln – nur noch die alte Schweizer Kuh in Gestalt des palatinisierten Glanrindes wird wohl noch zu retten sein, weil sein fein marmoriertes Fleisch so gut schmeckt …

Das Buch korrigiert Vorstellungen und Prämissen der bisherigen Geschichts- und Einwanderungsforschung fundamental. So hat die Kontinuitätstheorie keine Gültigkeit mehr, die besagt, dass die pfälzische Alltagskultur mit der pfälzischen Bevölkerung den 30-jährigen Krieg unbeeinflusst überlebt hätten. Auch die bisherige Annahme, die „Palatines“ in Irland und Pennsylvania seien „Pfälzer“, wird als falsch entlarvt. Seebachs Grundlagenwerk korrigiert und erweitert zugleich die traditionellen Vorstellungen von der Pfalz um eine kulturale Dimension: im ethnokulturellen Prozess der Pfalzwerdung haben die alpin-schweizerischen Kulturelemente konstitutiven Charakter. (red)

Helmut Seebach.
Schweiz – Pfalz – Pennsylvania.
Ursprung und Werden von Pfalz und Pfälzern – eine kulturwissenschaftliche Grundlegung.
ISBN  978-3-924115-38-8
Bachstelz-Verlag Helmut Seebach
Waldstrasse 6
55124 Mainz-Gonsenheim

Telefon 06131/41485
e-mail: bachstelz@t-online.de

Einmalige, nummerierte und signierte Ausgabe
Auflage: 100 Exemplare
Preis: 75,- Euro

285 Seiten, 59 Abbildungen und Schemata, darunter zahlreiche Farbbilder

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