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„Netzwerk Tempo 30 Pfalz“ macht Druck: Anwalt und Politik sollen Forderungen unterstützen

28. Juni 2015 | Kategorie: Kreis Germersheim, Kreis Südliche Weinstraße, Politik regional, Regional

„Netzwerk meets Politik“ in Herxheimweyher.
Fotos: pfalz-pexpress.de/Licht / v. privat

Herxheimweyer – Das Netzwerk Tempo 30 Pfalz, ein Zusammenschluss von Bürgerinitiativen und Interessengemeinschaften zur Ausweisung von Tempo 30-Zonen in den entsprechenden Gemeinden, hat sich juristischen Beistand geholt.

Rechtsanwalt Wolfram Sedlak

Rechtsanwalt Wolfram Sedlak aus Köln mit Fachgebiet Umweltschutz referierte in Herxheimweyer vor Vertretern der Bürgerinitiativen und der lokalen Politik.

Gleich zu Beginn gab es einen Grund zu feiern für Karin Bartz und Dr. Markus Müller vom Bürgerprojekt Hauptstraße Herxheimweyher: Christian Sommer von der Verbandsgemeinde Herxheim verkündete den frisch eingetroffenen Bescheid, der bestätigt, dass die Hauptsraße dauerhaft auf Tempo 30 umgestellt wird.

 Tempo 30-Zonen: Alles nicht so einfach

Wie schafft man es, in besonders vom Straßenverkehr belasteten gebieten Tempo-30-Zonen zu installieren? Welche rechtlichen Möglichkeiten können genutzt werden, welche Argumente angeführt? Wie kann man ablehnenden Bescheiden der zuständigen Behörden begegnen?

Knifflige Fragen, deren Lösungsansätze sich in Paragrafen der Straßenverkehrsordnung (StVo) verbergen.

Grundsätzlich gilt: Die Ausweisung von Tempo-30-Zonen im Nebenstraßennetz (Seitenstraßen, Wohnstraßen) und in der Nähe von Schulen oder Kindergärten ist eher erreichbar als eine streckenbezogene Temporeduzierung auf Hauptverkehrsstraßen. Gerade in der Südpfalz sind aber viele Orte sogenannte Straßendörfer, durch die eine lange – und meist nicht besonders breite – Hauptstraße führt, die hauptsächlich vom Durchgangsverkehr genutzt wird.

Die Straßenverkehrsbehörden können die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie, wenn dies aus Gründen der Verkehrssicherheit oder des Lärmschutzes erforderlich ist.

Lärm: Behörde muss prüfen

Das klinge so, als ob kein Rechtsanspruch gegen die Straßenverkehrsbehörde gestellt werden könnte, sagte Sedlak. Dem sei aber nicht so: Ab Erreichen bestimmter Lärmpegel bestehe eine Prüfungspflicht der zuständigen Behörde.

Dafür gibt es die sogenannte „Ermessensauslösende Schwelle“. „Richtige“, sprich gesetzlich festgelegte Lärmgrenzwerte an bestehenden Straßen sind in Deutschland allerdings bisher nicht erlassen worden. Die Bundes-Immissionsschutzverordnungen (BImSchV) wurde 1990 von der Bundesregierung nur für den Neubau oder die wesentliche Änderung von Straßen sowie Schienenwegen der Eisenbahn und Straßenbahnen verordnet.

Gleichwohl habe die ständige Rechtsprechung auch für bestehende Straßen Kriterien entwickelt, um unzumutbare Lärmbelastungen ermitteln zu können, sagte Sedlak. Diese seien jedoch lediglich Orientierungswerte. So gelten bei Krankenhäuser, Schulen, Kur- und Altenheime bei Tag (Angaben in dB(A) ) am Tag 57, bei Nacht 47. In reinen und allgemeine Wohn- sowie Kleinsiedlungsgebiete 59 (Tag) und 49 (Nacht), in Kern-, Dorf- und Mischgebieten 64 (Tag) und 54 (Nacht) und in Gewerbegebieten 69 (Tag) und 59 (Nacht).

Wo allerdings die gesundheitsgefährdende Schwelle beginne, sei wissenschaftlich nicht genau erwiesen und definiert, deshalb sei die Gesundheitsgefährdung als Argument zwar anführbar, aber nicht als Kriterium gesichert. Dennoch sei Argumentation aus Lärmschutzgründen wohl nach wie vor die erfolgversprechendste, meint Sedlak.

Tempo-30-Zonen dürfen sich nicht auf übergeordnete Straßen beziehen. Dass allerdings auf Bundesstraßen keine abschnittweise Tempo-30-Zone möglich ist, sei ein Irrglaube, so Sedlak: „Das stimmt nicht.“ Man könne sehr wohl auch auf Bundesstraßen eine streckenweise Geschwindigkeitsbegrenzung einführen.

Weitere Kriterien seien viele Fußgänger und Radfahrer, gefährliche Überquerungen oder ein starker LKW-Durchgangsverkehr, wobei bei letzterem auch immer die Verlagerungssituation auf andere Straßen geprüft werden müsse.

Stimmen der Politik

Die politischen Vertreter waren zahlreich erschienen: Die Bundestagsabgeordneten Dr. Thomas Gebhart (CDU) und Thomas Hitschler (SPD), die Landtagsabgeordneten Alexander Schweitzer (auch Fraktionsvorsitzender der SPD im Landtag) und Barbara-Schleicher-Rothmund (SPD) für den Kreis Germersheim, Christine Schneider (CDU) für den Kreis Südliche Weinstraße. Auch mit dabei: Jutta Blatzheim-Roegler, stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion und Sprecherin für Mobilität, Verkehr und Tourismus, der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kandel, Volker Poß, und Hedwig Braun, frisch gewählte Verbandsbürgermeisterin Herxheim.

Thomas Gebhart machte den Anfang und nahm Stellung zum Thema. Er habe großes Verständnis für die Wünsche nach mehr Tempo-30-Zonen. Auch in Jockgeim, wo er lebe, habe sich die Geschwindigkeitsbegrenzung etabliert und funktioniere einwandfrei.

Ein generelles Tempo 30 halte er aber für überzogen: „Das muss von Fall zu Fall entschieden werden.“ Manchmal brauche es auch eine Ortsumgehung , sagte Gebhart.

Alexander Schweitzer brachte die Idee in die Diskussion ein, ein generelles Tempo 30 in Ortschaften einzuführen und Tempo 50 als Ausnahmen auszuweisen, also die derzeitige Situation „umzudrehen“. Damit sei „bei vielen Ortslagen schnell und problemlos die ganze Sache erledigt.“

Schweitzer bot an, die Vertreter der Bürgerinitiativen mit den Verantwortlichen in Mainz zu einem runden Tisch zusammenzubringen. Da hakte Christian Vedder, Sprecher der BI Tempo 30 Kandel, nach: Wann genau denn das Treffen stattfinden könne? Schweitzer versicherte, gleich in der kommenden Woche die Terminvereinbarungen in Angriff zu nehmen.

Christine Schneider beklagte das seit Jahren in der Schwebe hängende Tempo 30-Anliegen in der Luitpoldstraße in Edenkoben. Es sei ein „Schwarzes-Peter-Spiel“ zwischen Verbandsgemeinde und dem Landesbetrieb Mobilität (LBM): „Von Beginn an wird dort die Verantwortung hin und hergeschoben.“ Innenminister Lewentz habe schon lange Erleichterung versprochen, davon habe man jedoch bislang nichts gemerkt, wandte sich Schneider an die SPD-Abgeordneten.

Thomas Hitschler erklärte, dass die SPD bereits 2011 auf Bundesebene einen Gesetzentwurf eingebracht habe, die Regelung so umzukehren, dass generell Tempo 30 gelte und Tempo 50 ausgewiesen werde. Der Antrag sei abgelehnt worden, man werde dasselbe jedoch nochmals fordern. Die Erfolgsaussichten schätzt Hitschler dennoch gering ein: „Es gibt dazu auch jede Menge anderer Meinungen.“

Hitschler warb um ein wenig mehr Verständnis für den LBM, der in solcherart Diskussionen meist nicht gut wegkommt: Die Behörde habe schließlich den gesetzlichen Auftrag, den Verkehrsfluss zu sichern.

Barbara Schleicher-Rothmund sagte, die BIs leisteten Pionierarbeit bei der Bewusstmachung des Problems. Lärm sei gefährlich, aber Bund und Länder seien insgesamt auf einem guten Weg. Dennoch gebe es nach wie vor viele Gegner für Tempo 30. Besonders wegen der Rheinstraße in Kandel habe sie sich viel anhören müssen: „Da gab es ordentlich Gemecker.“ Auch eine generelle Tempo 30-Einführung in den Kommunen sei nicht immer die allumfassende Lösung. Schleicher-Rothmund sprach sich für mehr Ortsumgehungen aus, bei denen es aber bei der Planung die Verlagerung auf andere Ortschaften oder Gebiete zu beachten gelte.

Jutta Blatzheim-Roegler plädierte für mehr Tempo-30-Zonen in den Gemeinden. Es sei wünschenswert, wenn dies auf der Basis eines breiten gesellschaftlichen Einverständnisses geschehe – und wesentlich effektiver. Man könne eine gute Mobilität nicht ausschließlich durch Verbote hinbekommen, so die Landtagsabgeordnete aus dem Kreis Bernkastel-Kues/Morbach/Kirchberg.  Auch seien die Möglichkeiten, was den LBM angehe, noch nicht ausgeschöpft: „Da geht noch was.“ Wichtig sei eine genaue Interessensdefinition auf beiden Seiten.

Volker Poß forderte rechtliche Klarheit. „Dann scheuen wir uns auch nicht, Forderungen durchzusetzen.“ Die Forderungen der BIs und die Antworten des LBM sagten fast immer das „genaue Gegenteil“. Ohne Handreichungen des Verkehrsministeriums könne man nicht handeln: „Wir brauchen klare Grundlagen“, betonte Poß.

Helene Ludwig von der Verkehrsinitiative Ludwigshafen mit über 500 Mitgliedern bemängelte sichtlich erregt die „total überholten Gesetztesvorlagen“, die heutzutage noch Gültigkeit hätten und warf Wirtschaftsministerin Eveline Lemke Versagen vor: Diese habe vor langer Zeit ein durchgängiges Tempo 30 zugesagt, aber: „Passiert ist überhaupt nichts“, echauffierte sich Ludwig. Autos hätten wohl eine starke Lobby und niemanden kümmere es, dass Lärm sogar zum Tode führen könne, wie ja allseits bekannt sei.

Immerhin: Einen Schritt weiter sind die BIs gekommen mit ihrem „Straßenkampf“ (Christian Vedder): Der runde Tisch mit Fach-Verantwortlichen in Mainz wartet. (cli)

Teilnehmer

Bürgerpojekt Herxheimweyher

BI Kandel Tempo 30

BI Bienwald

BI Verkehrsentlastung VG Bellheim

BI Bündnis 30plus Ottersheim

BI „Schöner Leben“ an Durchgangsstraßen – Knittelsheim

BI Herxheim

BI Sichere Luitpoldstraße – Edenkoben

BI Edesheim

Gemeinde Insheim

BI Impflingen

Verkehrsinitiative Ludwigshafen e.V.

BT Deidesheim

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Ein Kommentar auf "„Netzwerk Tempo 30 Pfalz“ macht Druck: Anwalt und Politik sollen Forderungen unterstützen"

  1. Verkehrslärm und Gesundheit
    Tempo 30 innerorts senkt den Verkehrslärm um 3 bis 4 Dezibel (dbA) gegenüber Tempo 50. Das entspricht einer Halbierung des wahrgenommenen Lärms – eine deutliche Erleichterung.
    Das ist nicht nur nett für besonders empfindliche Leute, sondern eine Notwendigkeit für die Gesundheit aller. Denn laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen aufgrund von Verkehrslärm europaweit jedes Jahr über eine Millionen gesunde Lebensjahre verloren. Außerdem erkranken in Europa durch Verkehrslärm jährlich durchschnittlich 245.000 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 50.000 Menschen sterben.[1] Dabei ist es unerheblich, ob man den Lärm bewusst wahrnimmt oder nicht. Der Körper reagiert immer.
    Lärmschutz ist Gesundheitsschutz. Und wenn es gelingt, mit einem 30 km/h-Limit die Halbierung des Verkehrslärms zu erreichen – und zwar überall dort wo Menschen leben, – dann ist das ein wichtiger Beitrag zum Gesundbleiben.
    Als 2. häufigste Ursache des Herzinfaktes ist verursacht durch Verkehrslärm.
    Lernschwierigkeiten, Nervosität, Schlafstörungen, erhöhter Blutdruck, Kopfschmerzen….. und, und.
    Hinzu kommen große Schäden an den Inmobilien. Mit all diesem Wissen müsste die jetzig bestehende Gesetzeslage grundlegend überarbeitet werden.
    Helene Ludwig