Missbraucht, gequält und heute doch ganz oben: Bestsellerautorin Isabelle Müller

9. November 2012 | Kategorie: Kreis Germersheim, Kreis Südliche Weinstraße, Landau, Regional

Wie Phönix aus der Asche: Missbrauchsopfer Isabelle Müller hat sich nicht unterkriegen lassen. Heute rüttelt sie mit Lesungen und Diskussionen die Öffentlichkeit auf und versucht, für das Thema Kindesmissbrauch zu sensibilisieren: „Macht den Mund auf, das nimmt den Tätern die Macht.“

Landau. Tiefe Betroffenheit war zu spüren im Casino des Kreishauses, als Autorin Isabelle Müller Passagen aus ihrem Bestseller „Phönix Tochter“ vorlas. Müller, exotisch schön, mit warmer Stimme und einem kaum merkbaren französischen Akzent, war auf Einladung von „Soroptimist Landau“ zu einer Podiumsdiskussion aus ihrem Wohnort Kapfenhardt bei Pforzheim nach Landau gekommen. Soroptimist ist eine weltweite Organistion für beruflich engagierte Frauen.

Isabelle Müllers Buch ist eine Autobiografie, in der sie sich die schweren seelischen Verletzungen ihrer Kindheit von der Seele schreibt. 1964 im französischen Tours geboren, Tochter einer vietnamesischen Mutter und eines französischen Besatzungssoldaten, dem täglichen Überlebenskampf der Unterschicht ausgesetzt: Kleidung von der Mülldeponie, eine Sickergrube vor dem Haus, Armut, Kälte und Krankheiten, weil kein Geld da war für medizinische Behandlung und Kohle zum Heizen. Die Mutter, als Asiatin Diskriminierungen ausgesetzt, kämpfte unermüdlich und beharrlich für das finanzielle Überleben der fünf Kinder und des Ehemanns, indem sie ein vietnamesisches Restaurant eröffnete. Der Vater: roh, gewalttätig. Als die kleine Isabelle acht Jahre alt ist, beginnt der sexuelle Missbrauch durch den eigenen Vater und damit ein neunjähriger, peinigender Leidensweg. Der Vater setzt sie unter Druck, impft ihr Schuldkomplexe ein, droht. Isabelle schweigt und leidet, die Umwelt bemerkt nichts. Erst mit 17 Jahren, nach zwei Selbstmordversuchen, schafft sie es, sich zur Wehr zu setzen und dem Missbrauch ein Ende zu setzen – nachdem sie Karate trainiert hat. Heute ist sie glücklich verheiratet und Mutter von zwei Töchtern.

An der Podiumsdiskussion nahmen auch die Dipl.-Psychologinnen Annegret Fink und Mareike Ott vo Frauenzentrum Aradia Landau, Kriminalhauptkommissar Bernhard Odenwald von der Polizeiinspektion Landau und Richter Klaus Michael Böhm, der selbst ein Projekt zur Therapie von Tätern entwickelt hat, die Initiative BIOS (Behandlungsinitiative Opferschutz). „Wegsperren allein hilft nicht – die Behandlung von Straftätern ist präventiver Opferschutz“, so Böhm. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dagmar Zimmermann-Baum, leitende Mitarbeiterin des Frauenhauses Landau. Auch Landrätin Theresia Riedmaier ließ es sich als ehemalige Gleichstellungsbeauftragte nicht nehmen, die Eingangsrede zu halten.

Der Pfalz-Express sprach mit der Autorin über Einschüchterung, ihre verletzte Seele und wie sie es schaffte, heute normal leben.

Frau Müller – wie hat ihr Vater Sie zum Schweigen gebracht, es geschafft, dass über all die Jahre nichts ans Tageslicht kam?

„Durch Drohungen und Schuldgefühle. Er sagte, ich würde daran schuld sein, wenn es herauskäme und er ins Gefängnis gesteckt werden würde. Denn es würde auch unsere Familie in eine weitere finanzielle Krise stürzen. Meine Mutter würde es mir außerdem niemals verzeihen und sehr böse auf mich sein, mich nicht mehr lieben.“

Wie konnte es sein, dass Ihre Mutter all die Jahre davon nichts mitbekommen hat?

„Zum einen, weil mein Vater ein ausgeklügeltes System mit angebrachten Klingeln an den Türen entwickelt hatte: Er wusste genau, wer wann hinein und hinaus kam, und so, wieviel Zeit er übrig  hatte. Wir hatten zwei Gebäude, das Elternhaus und das Restaurant. Der Missbrauch geschah immer im Elternhaus, wenn meine Mutter im anderen Gebäude war. 

Außerdem hatte ich mir vorgenommen, konsequent alles zu verschweigen, denn ich wusste, Mutter würde ihn umbringen. Sie hatte ein ganz anderes Verständnis von Justiz. In Vietnam werden Kinderschänder öffentlich gelyncht und umgebracht. Hätte sie das getan, wäre sie ins Gefängnis gelandet, ich im Heim, und mit dieser Schuld zu leben wäre für mich unmöglich gewesen. Daher beschützte ich sie davor.“

Warum konnten Sie sich nicht irgend jemandem offenbaren, einer Lehrerin, der Mutter einer Freundin z. B.? 

„Wenn man das Opfer ist, kostet das Offenbaren zu viel Kraft. Man ist dazu einfach nicht in der Lage. Als Erwachsener schon kaum, aber als Kind schon gar nicht. Es geht schlichtweg nicht, dies zu beschreiben. Man „umschreibt“ eher, wenn überhaupt. Außerdem achteten die Menschen nicht auf die kleinen Zeichen, die ich ab und an gesendet hatte. Und es gab zu dieser Zeit auch keine Anlaufstellen, keinen Mentor, keine Telefonnummer, niemand. Das Thema war viel tiefer tabuisiert als heute.“

Wie/was waren Ihre Gefühle und Empfindungen, als der Vater sich Ihnen zum ersten Mal auf diese Weise genährt hat – was geht da in einem kleinen Mädchen vor, bei dem das Elternvertauen auf diese Weise zerstört wird?

„Ich war schockiert und steif vor Angst. Von Anfang an wusste ich, dass das was lief, nicht richtig und nicht normal war. Ich hatte aber so viel Angst vor seiner Autorität, dass ich wie gelähmt war. Es war unangenehm, ich fühlte, dass er mich zu etwas benutze, was ich nicht verstehen konnte und nicht wollte. Auch stellte ich mir das erste Mal viele Fragen, warum er das tat und hatte das Gefühl, kein gutes Kind zu sein, weil er mich hier bestrafte. Die Schuld suchte ich bei mir, nicht bei ihm.“

Wie haben Sie das seelisch überlebt?

„Indem ich mich selbst aufbaute, mich an kleinen, schönen, positiven Dingen festhielt und mir suggerierte, dass ich liebenswert sei. Ich war bereit, diese Zeit konsequent hinzunehmen. Ich legte mir auch Ziele  fest, die mir Mut machten, weiter zu leben. Ich habe mich eigentlich selbst überlistet, an etwas geglaubt, was noch nicht wahr war. Heute würde ich sagen, ich habe visualisiert und viele meiner Wünsche sind nach und nach in Erfüllung gegangen.“

Wie psychisch stabil sind Sie heute?

„So stabil, dass ich einer ganzen Nation Mut und Hoffnung geben kann.“

 Wie ist das Verhältnis zu Ihrem Vater jetzt? Was fühlen Sie ihm gegenüber? 

„Nach Erscheinen meines Buchs hat er den Kontakt selbst abgebrochen. Damit habe ich kein Problem, denn was ich ihm gegenüber fühle ist Mitleid. Ich hätte auch kein Problem, offen und ausführlich mit ihm darüber zu reden. Ich stehe mittlerweile über diesen Dinge, die ich als eine schmerzhafte, hilfreiche Erfahrung betrachte.“

Sind Ihre Eltern noch immer zusammen?

„Meine Mutter starb 2003. Sie war bei ihm bis zu ihrem Tod – und hat es nie erfahren. Mein Vater lebt noch im Elternhaus und hat eine Lebensgefährtin.“ (cli)

www.isabellemueller.de

 

 

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