Mittwoch, 24. April 2024

Lieder, Literatur und Cremant d‘Alsace

26. Mai 2013 | Kategorie: Regional

Isabelle Grussenmeyer und Dr. Stefan Woltersdorff mit Ortsbürgermeister Gerhard Beil (Mitte). Foto: Beil

Rheinzabern – „Gude Owend bisamme!“, mit diesem kleinen Liedchen erwärmte Isabelle Grussenmeyer aus Mommenheim/Elsass im Nu die Herzen der Gäste des Kleinen Kulturzentrums.

Die vhs-Rheinzabern hatte zu „Literatur und Lieder aus dem Elsass“ eingeladen, um einen Beitrag zum 50. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages zu leisten, aber auch, um an den Ausbruch des I. Weltkrieges zu erinnern, der sich im Jahre 2014 zum 100. Male jährt und als „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts gilt.

Wie viel friedlicher war diesmal die Atmosphäre. Isabelle Grussenmeyer interpretierte Lieder von Emma Muller, Henri Mertz und Barbara, präsentierte aber auch etliche eigene Songs. Die zarte Person hat eine große Ausstrahlung. Ihr Lachen steckt an. Sie singt wie eine Lerche, kann sich aber auch in fetzigem Rock ausdrücken. Grussenmeyer wirkt als Lehrerin in einer bilingualen Grundschule, hält ambulant Sprachkurse und singt Elsässisch, wobei sie beiläufig über die Rolle des „Poeten im eigenen Land“ sinniert. Deswegen singt sie aus ihrer Sicht mehr „driwwe“ als „hiwwe“.

„Ochsitanisch füer Anfänger“ von Henri Mertz lässt nicht nur über die Rhein- und Lautergrenze hinaus das Einende des Dialekts verspüren und genießen. Mit den Inhalten ihrer Lieder akzentuiert Isabelle Grussenmeyer auch die kulturellen Gemeinsamkeiten der Menschen am Oberrhein. Vergessen sind die unseligen Zeiten, als man von Berlin oder Paris aus die Menschen im Elsass, in Baden oder in der Pfalz zu Erbfeinden erklärte – und aufeinander hetzte.

Es ist eine Mär, dass die Elsässer nach 1870 begeisterte Deutsche gewesen seien. Symptomatisch dafür steht nicht nur die skandalöse „Zaberner Affäre“, sondern auch Emma Mullers sehnsuchtsvolles Lied „Sunne-Untergang“, in dem ein Elsässer Kind seine „Mamme“ fragt, wohin denn die Sonne gegangen sei und darauf erfährt, dass sie im „Welschland“ Frankreich sei.

Das Elsass bezeichnet die „Chanteuse“ Grussenmeyer als Bindestrich zwischen Deutschland und Frankreich, was dem zweiten Akteur des Abends, Germanist Dr. Stefan Woltersdorff, ein Stichwort gibt. Dr. Woltersdorff ist u.a. als Autor dreier Bände über Litera-Touren durch Elsass und Lothringen bekannt. Sinngemäß zitiert er den Elsässer Dichter René Schickele in dessen Essay „Wir wollen nicht sterben“ (1922), wonach Vogesen und Schwarzwald als zwei Seiten des gleichen Buches bezeichnet werden, in dessen Falz der Rhein als „Bindung“ fungiert.

Auf der Mitte der Rheinbrücke Kehl-Straßburg stehend, entwickelt Victor Hugo schon früher sogar den Gedanken eines vereinten Europas, das man ebenso wenig teilen könne wie die Wasser des Rheines, die sich durch die Oberrheinebene schlängeln und beide Ufer verbinden.

Stefan Woltersdorff gibt im Sauseschritt einen Einblick in die Literatur des Elsass und zeigt viele Gemeinsamkeiten auf – von den Merowingern bis in die Nachkriegszeit. Natürlich kann er nur anreißen, hinweisen, „Appetit auf Mehr“ machen. Schon Cäsar leitet mit seiner Grenze am Rhein eine unterschiedliche Sprachentwicklung ein. Im Frankenreich sind Westfränkisch und Ostfränkisch die Amtssprachen, aus denen sich Deutsch und Französisch entwickeln.

Das Karolingerreich, größtes Staatsgebiet nördlich der Alpen, kennt zwei Amtssprachen: Altfranzösisch und Altfränkisch. Im Grenzbereich liegen die Oberrheinlande mit dem Elsass. Nach der Teilung des Karolingerreiches zählt der Mönch Otfried von Weißenburg zu einer besonderen Persönlichkeit im ostfränkischen Reich Ludwigs des Deutschen. Otfried schreibt in südrheinfränkischem Dialekt, was auf pfälzische Abstimmung schließen lässt.

Um das Jahr 1000 ist Kaiserin Adelheid, Gattin Ottos I., die „Powerfrau“ in Ottonischer Zeit. In Seltz wird sie noch heute verehrt. Da ist das Sujet der sich bekämpfenden Blutsbrüder, Hagen von Tronje und Walther von Aquitanien – Vorahnung des Zwistes zwischen beiden Nationen? Die Staufer machen im 12. Jh. Hagenau zu ihrer wichtigsten Pfalz. Beatrix von Burgund, Gemahlin Kaiser Barbarossas, fördert den Minnesang, beeinflusst durch die franz. Troubadoure. Einer der ersten Minnesänger war Reinmar von Hagenau.

Diese schöne „alte“ Literatur erlebt im 15. Jahrhundert eine Renaissance, so dass im Elsass regelrechte Abschreibfabriken, Verlage, entstehen. Johannes Gensfleisch zu Gutenberg aus Mainz greift diesen Trend in Straßburg auf, sucht allerdings weniger den Massendruck als das schöne und fehlerfreie Werk, insbesondere die Bibel. Während der Reformation liegt das Augenmerk ebenso auf dem Elsass, wie es später im 18. Jh. der Fall ist.

Gleich zwei deutsche Poeten machen der Pfarrerstochter Friederike Brion aus Sessenheim den Hof. Der bekanntere von ihnen ist Johann Wolfgang von Goethe, doch schreibt sein „Rivale“ Jakob Michael Reinhold Lenz nicht weniger emotional: „Erwache, Friederike, vertreibe die Nacht…“.

Im 19. Jh. sind die Rheinreisen „en vogue“, ermöglicht durch das Dampfschiff, ausgelöst indes durch Rousseaus Schwärmerei vom Zurück zur Natur. Baden-Baden, Stadt des in Frankreich zeitweilig verbotenen Glücksspiels, zieht das dt.-frz. Großbürgertum auf sich, was sich ebenfalls in der Literatur niederschlägt.

Während des Krieges 1870/71 ist Theodor Fontane (frz. Abstammung) als preußischer Kriegsberichterstatter eingesetzt. Er ändert aber seine Intention, nachdem er auch die Opferseite, die betroffenen Menschen und insbesondere die von Preußen verwüstete Stadt Straßburg gesehen hat. Ob das Wilhelminische Viertel in den Jahren danach quasi als Wiedergutmachung oder als Machtsicherung verstanden wurde, erforderte ein eigens Kapitel.

Während des I. Weltkrieges ist Alfred Döblin als Militärarzt in Saargemünd und Hagenau im Einsatz. Täglich rollen die Verwundetenzüge ein, noch über 60 km von der Westfront entfernt erbebt die Erde vom Trommelfeuer vor Verdun. Alfred Döblins Schicksal ist besonders mit dem Elsass und der deutsch-französischen Geschichte verbunden. Der deutsche Jude Döblin emigriert im 3. Reich nach Frankreich, sein Sohn wird französischer Soldat. Als Jude, Sohn eines Emigranten und französischer Soldat entzieht er sich der Gefangennahme durch Selbstmord.

Schließlich wird noch Jean Paul Sartre angesprochen, dessen Großvater aus Pfaffenhofen 1871 nach Frankreich gegangen war. Aufgewachsen in Meudon bei Paris kommt Sartre mit dem Großvater wiederholt im Sommer ins Elsass. Sartre diente als Soldat an der Maginot-Linie, wo seine Wandlung vom Salon-und Kaviar-Linken zum Existenzialisten wesentliche Impulse erhält.

Ja, sie ist nicht einfach, die Geschichte des Elsass – und auch die Literatur, aber hoch interessant. Der Elsässer Henri Mertz akzentuiert es so:

Zwei Ammen haben mich gestillt

Und mir zwei Sprachen eingedrillt,

Das war bei uns so Sitte!

„Le veau: das Kalb! Le vin: der Wein!

Le rendez-vous: das Stelldichein!“

Das war methodisch, bitte!

[…]

Wie schön dass beide Zungen sich

In meinem Mund geschwisterlich

Ergänzen und vertragen!

Ich hab sie alle beide gern

Und deshalb läge es mir fern

Die eine zu verjagen.

 Mit einem der komplizierten Kulturgeschichte des Elsass gemäßen Lied in „Heckewelsch“ und nochmals dem gemeinsam gesungenen „Gute Owend bisamme“ ließ Isabelle Grussenmeyer einen Abend ausklingen, bei dem das Elsass mit mehreren Sinnen erfahren werden konnte: Mit Liedern fürs Herz, mit Literatur für den Kopf und Cremant d’Alsace für den Gaumen – ausgeschenkt vom Partnerschaftsverein Rheinzabern-Chalmoux.

Fortgesetzt wird der Abend mit einer literarischen Wanderung in Weißenburg und Umgebung, am Samstag, 14. September 2013. (Gerhard Beil)

 

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