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Germersheim: Russlanddeutscher CDU-Abgeordneter Zertik: „Redet miteinander“

24. Februar 2017 | Kategorie: Kreis Germersheim, Politik regional, Regional
Bundestagsabgeordnete Heinrich Zertik (li.), Thomas Gebhart (beide CDU). Fotos: Pfalz-Express/Licht

Bundestagsabgeordnete Heinrich Zertik (li.), Thomas Gebhart (beide CDU).
Fotos: Pfalz-Express/Licht

Germersheim – So manch Einer mag sich verwundert die Augen gerieben haben ob des Auftritts von Heinrich Zertik, des ersten russlanddeutschen Bundestagsabgeordneten, bei einem Vortrags- und Diskussionsabend mit dem südpfälzischen CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Thomas Gebhart. 

Heinrich Zertik ist Mitglied der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Seit 2013 sitzt er als erster Russlanddeutscher Abgeordneter im Deutschen Bundestag (Wahlkreis Höxter-Lippe/Westfalen). Dort ist Zertik im Innenausschuss und im Ausschuss für Menschenrechte schwerpunktmäßig im Bereich Aussiedler- und Vertriebenenpolitik tätig.

Heinrich Zertik wurde in Kasachstan als Angehöriger der deutschen Minderheit geboren. 1989 siedelte er mit seiner Frau und seiner Tochter nach Deutschland über. Er ist Vorsitzender des „Landesnetzwerks Aussiedler“ in der CDU Nordrhein-Westfalen und  Mitgründer und 1. Vorsitzender des Vereins Freundschaft-Druschba e.V.

Im Germersheimer Bürgersaal ging es in der Hauptsache um Altersarmut und Integration. Was ein durchaus informativer Abend hätte werden können, ging jedoch im Redeschwall Zertiks unter, der für alle Probleme die Standardformel „redet miteinander“ parat hatte. Das ist beileibe nicht verkehrt, lieferte aber wenige Antworten.

Die Rede war unter anderem von russischen Aussiedlerfrauen, die wegen der zu langen Beibehaltung der doppelten Staatsbürgerschaft den Rententeil aus Russland gestrichen bekommen hatten. Diese Frauen, oft Witwen, müssten sich nun mit etwa 350 Euro durchschlagen, klagte ein Zuhörer, dessen Mutter ebenfalls davon betroffen sei. Viele kämen nur mit Hilfe der Tafeln über die Runden.

Selbst schuld, war häufig die lapidare Antwort Zertiks. Man könne nicht „zwei Herren dienen“. Russische Aussiedler hätten in der Regel nicht die Erwartung, dass alles vom Himmel falle, sondern packten an und hätten es in Wirtschaft und Gesellschaft weit gebracht.  Es zählten Arbeit und Ergebnisse. Selbstverständlich wolle man aber im Wahlprogramm die Altersarmut der Aussiedler angehen, „da sind wir dabei.“

Zertik forderte seine „Landsleute“ auf, nach draußen zu gehen, aktiv zu werden, mit den „Menschen zu reden.“ Auf diese Weise sei auch er zur CDU gekommen, mit der er seit 25 Jahren „verheiratet“ sei. „Es ist wie eine Familie“, schwärmte Zertik immer wieder.

In Germersheim leben etwa 4.000 Personen mit russischem Hintergrund, hatte Bürgermeister Marcus Schaile zu Beginn der Veranstaltung berichtet. Davon waren einige im Saal, der mit etwa 60 Personen besetzt war. Wirklich Informationen bekamen sie vom russlanddeutschen Abgeordneten aber eher nicht. Der plauderte lieber über dies und jenes – durchaus sympathisch, doch wenig konkret.

Präzise Antworten hatte dagegen Thomas Gebhart, der im geschilderte Fall der verarmten Mutter eines Zuhörers sofort einen Gesprächstermin anbot. Oft stelle sich nach einer genaueren Prüfung heraus, dass es doch noch Möglichkeiten gebe, die man ausschöpfen könne, so Gebhart.

Heinrich Zertik, Thomas Gebhart, Germersheim (2)

Alles „hintenrein geschoben“? 

Einige AfD-Mitglieder, die ebenfalls zur Veranstaltung gekommen waren, besetzten naturgemäß das Thema Migration und Asyl. Aber auch die Euro-Finanzen lagen ihnen offenbar auf der Seele.

Nein, Asylbewerber bekämen nicht alles „hintenrein geschoben“, entgegnete Gebhart auf die wortgleiche Frage eines AfDlers. Im übrigen verwahre er sich gegen eine solche Ausdruckweise. Asylbewerber bekämen in etwa denselben Regelsatz wie ein Arbeitslosengeld II-Bezieher (Hartz IV). Kanzlerin Merkel habe die Flüchtlinge nicht „geholt“, sondern die Menschen seien vor Krieg und Verfolgung geflohen. Das deutsche Asylrecht biete in solchen Fällen vorübergehend Schutz, abgelehnte Asylbewerber müssten in ihre Länder zurückkehren: „Dazu stehe ich.“

Die Schutzquote betrage derzeit 55 Prozent, sagte Gebhart auf die Frage, wie viele „echte“ Kriegsflüchtlinge es denn nun gebe.

Weitere Anliegen waren der EU-Rettungsschirm („Italien braucht derzeit keine Haftung“), die Griechenlandhilfe („ich habe im Bundestag gegen ein drittes Rettungspacket gestimmt“) oder der Haushaltsüberschuss von rund 6 Milliarden Euro, der automatisch als Rücklage eingestellt worden sei, weil es keine politische Einigung mit dem Koalitionspartner SPD für die Verwendung des Geldes gegeben habe.

AfD: „Deutsche aus der Ukraine bekommen kein Asyl“

Ein kleiner Disput entspann sich zwischen Heinrich Zertik und Albert Breininger, Beisitzer im AfD-Kreisvorstand, als Breininger wissen wollte, was mit etwa 200 Ukainern deutscher Abstammung geschehe, die nicht ins Land gelassen worden seien. Diese seien aufgrund ihrer deutschen Wurzeln Repressalien ausgesetzt. Zwei Familien hätten es nach Deutschland geschafft, würden aber demnächst wieder abgeschoben. Laut Breininger droht zumindest den Familienvätern Haft oder die Einweisung in ein militärisches Strafbataillon.

Zertik sagte, man habe geprüft, was nach dem Gesetz möglich sei. „Menschen aus Donezk können in beide Richtungen über die Grenzen gehen“, lautete die etwas unscharfe Replik von Zertik.

Weniger deutsch, mehr Putin?

Horst Rieder vom Sozialverband VdK äußerte seine Besorgnis, dass – im Gegensatz zu früher – heute immer mehr russisch stämmige Jugendliche russisch und nicht deutsch sprächen. „Im Fernsehen laufen in deren Wohnungen nur noch russische Sender“, merkte Rieder an, „anders als vor 20 Jahren, da haben die Aussiedlerfamilien deutsches Fernsehen geschaut.“ Außerdem höre er viel zu oft Loblieder auf Putin. Er habe Zweifel, ob die Integration wirklich gelungen sei.

Zertik empfahl dazu wie immer, miteinander ins Gespräch zu bleiben, räumte aber ein, dass solche Tendenzen bestehen könnten.

Dazu meldete sich ein junger Mann aus dem Publikum in glasklarem Hochdeutsch: Er sei selbst zweisprachig aufgewachsen, mit der Großmutter spreche er russisch, ansonsten deutsch. Seine Eltern seien aus Russland eingewandert, sähen aber sich selbst und ihn als Deutsche. Sie seien Nachfahren von Deutschen, die ehemals nach Russland ausgewandert seien (Peter der Große hatte Anfang des 18. Jahrhunderts viele deutsche Handwerker ins Land geholt, Anm.d.Red.). Nun seien sie eben wieder zurückgekommen.

Ein etwas älterer russisch stämmiger Mann aus dem Publikum war dennoch niedergeschlagen. Man spüre immer noch oft „Druck“ der Einheimischen gegenüber den Aussiedlern. Dazu Zertik: „Redet miteinander und untereinander.“ (cli)

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