Flüchtlingshilfe: Podiumsdiskussion in Bad Bergzabern: „Wir können das schaffen“

13. November 2015 | Kategorie: Kreis Südliche Weinstraße, Regional
Podiumsdiskussion mit Kommunalpolitikern, Kirchenvertretern und Betroffenen in Bad Bergzabern. Fotos: Kunze

Podiumsdiskussion mit Kommunalpolitikern, Kirchenvertretern und Betroffenen in Bad Bergzabern.
Fotos: Kunze

Von unserer Mitarbeiterin Gabi Kunze

Bad Bergzabern – Willkommen in Deutschland: Ein Thema spaltet das Land hinsichtlich seiner Brisanz.

Flüchtlingsströme, die nicht abreißen, überforderte Länder, Städte und Gemeinden, verängstigte Bürger, überforderte Helfer. Und kein Ende in Sicht.
Doch viele Bürger möchten den Flüchtlingen helfen und sie willkommen heißen.

Darum hatte das Protestantische Dekanat Bad Bergzabern am Dienstagabend (10. November) zum Bürgerforum eingeladen. Mit Fakten wollte man Ängsten und Halbwahrheiten begegnen, aber auch Probleme benennen.

Die Räumlichkeiten im Haus der Familie waren bis zum letzten Platz – und darüber hinaus – besetzt. Dekan Dietmar Zoller und Dr. Stefan Meißner (Arbeitskreis Kirche und Judentum) moderierten den Abend.

Zöller eröffnete den Abend mit dem Hinweis, dass das Asylrecht in der jüdisch-christlichen Tradition verankert sei: „Gott liebt den Fremdling“. Gleichzeitig forderte er, dass die Willkommenskultur auch eine Willkommensstruktur bekommen müsste.

Um kompetent über das Thema reden zu können, wurden Gäste auf das Podium geladen: Hermann Bohrer, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Bad Bergzabern, Reinhard Schott, Integrationsbeauftragter Ev. Kirche Pfalz, Aydin Tas, ehemaliger Vorsitzender des Beirats für Migration und Integration in Landau, Ulrike Brunck, Migrationsberatung der Diakonie, Esra Hamadeh, Studentin aus Damaskus, und Abdul Rachman Fadloun vom THW Landau.

Abdul Rachman Fadloun, THW Landau, und Esra Hamadeh, Studentin aus Damaskus.

Abdul Rachman Fadloun und Esra Hamadeh.

Meißner begann mit der Frage an Hermann Bohrer, wie viele Flüchtlinge in der Verbandsgemeinde lebten und wie es mit der Unterbringung aussehe.

Bohrer sprach sich vorab dafür aus, die emotionalisierten Themen zu versachlichen. Er stellte die Frage, für wen das „Flüchtlingsproblem“ denn nun ein direktes Problem wäre. Das sei für ihn nicht erkennbar.

„Zur Zeit“, so der VG-Bürgermeister, „sind 180 Asylbewerber in der Gemeinde und das bei 24.000 Einwohnern. Dies bedeutet, wir haben unter einem Prozent Asylsuchende. Wir können mehr „vertragen“, aber eine Herausforderung ist die Unterbringung, eine logistische Aufgabe. Der Mensch, der Hilfe sucht, hat Anspruch auf ein Bett, eine Wasch- und Kochgelegenheit.“

In Bad Bergzabern (Stadt) seien 135 Personen untergebracht. Viele hätten eine falsche Vorstellung davon, wie die Menschen wohnten. Das sei recht spartanisch.

Bisher sei  Wohnraum angemietet worden und das gelänge auch recht gut, nur im Frühsommer habe es einen Engpass gegeben. Über die BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) konnten 15 Wohnungen angemietet werden, die keine Bundeswehrwohnungen, sondern bundeseigene gewesen seien.

Schwieriger sei es, Wohnraum auf den Dörfern zu finden. Bohrer sagte, er verstehe das nicht bei den Leerständen.

Wie die Prognosen seien, fragte Meißner den Verbandsgemeindechef. „Wir rechnen mit einem Anhalten des Flüchtlingsstroms,“ so Bohrer. „Eventuell wird es durch den bevorstehenden Winter einen leichten Rückgang geben. Aber der Zustrom wird sehr wahrscheinlich so weitergehen.“

Flüchtlingshilfe Bad Bergzabern Forum 9

Eine Bürgerin klinkte sich besorgt ein, wie denn das weitergehen solle. Sie vertrete christliche Werte wie „Liebe deinen Nächsten“. „Aber wenn die da oben nicht mal wissen, was zu tun ist, was dann?“

Bohrer betonte, die Ängste zu beherzigen. Aber die Aufgaben in der kommunalen Ebene lägen in der Logistik und die große Hilfe komme durch das Ehrenamt. Wichtig sei, die demokratischen Kräfte nicht auseinanderdividieren zu lassen.

Dekan Zöller warf ein, dass man nicht immer für alles gleich eine Lösung parat habe. Die Diakonie und die Verbandsgemeinde würden aber intensiv zusammenarbeiten.

Flüchtlingshilfe Bad Bergzabern Forum 8

Direkte Hilfe vor Ort

Die Frage, wie man den Geflüchteten vor Ort helfen kann, beantwortete Ulrike Brunck von der Diakonie: „Diesen Menschen zu helfen ist Arbeit, die Freude bringt, aber manchmal auch an ihre Grenzen stößt. Wir haben eine Kleiderkammer, für alle Leute natürlich. Wir haben eine Beratungsstelle, Patenschaften und das Cafe Grenzenlos, um in Kontakt kommen zu können.“

Es gebe Probleme, die nur vor Ort zu erkennen seien, zum Beispiel Schimmel in den Unterbringungen. Dreimal die Woche gebe es Sprachkurse (auch Frauensprachkurse). Weit über fünfzig ehrenamtliche Helfer engagierten sich, was aber nicht ausreiche.

Die Flüchtlinge wollten sich integrieren, aber: „Es ist alles nicht immer so einfach. Wenn die Asylsuchenden mit Bussen gebracht werden, holen wir sie ab. Sie erhalten eine Willkommens-Tasche und wir zeigen ihnen, wo alles ist im Ort.“

Positive Erfahrungen

Esra Hamadeh, Architekturstudentin aus Damaskus, schilderte aus ihrer Sicht – der einer Geflüchteten – die Ankunft in Frankfurt. Dort sei sie sehr nett empfangen worden. Natürlich gäbe es auch weniger positive Begegnungen, aber sie empfinde große Dankbarkeit, so gut aufgenommen worden zu sein.

Die Studentin hat vor einem Jahr angefangen, deutsch zu lernen und erzählte bereits recht verständlich, wie freundlich die Leute in der Erstaufnahmeeinrichtung waren. Auch freue sie sich, wenn sie nach ihrer Kultur gefragt werde. Sie habe überwiegend positive Erfahrungen gemacht.

„Alles war fremd“

Aydin Tas lebt seit über 36 Jahren in Deutschland. Er ist deutscher Staatsbürger mit türkischen Wurzeln. Nun ist er kurz davor, Verantwortung im Stadtrat Landau zu übernehmen.

Er erinnerte sich an das Ankommen zu seiner Zeit. „Es war alles fremd.“ Seine ersten Worte in Deutsch: Die Frage nach Brot in einem der vielen „Tante-Emma-Läden“.

Es habe damals komplette Klassen nur mit „nicht-Deutschen“ gegeben, was schlecht gewesen sei, da so eine Integration kaum möglich war, berichtete Tas.

Heute sehe er alles mit großer Sorge, besonders das Leid der Menschen, die hier ankämen. Ermutigend findet er das Engagement der Ehrenamtlichen, im „Gegensatz zu denen, die in Dresden herumlaufen und hetzen.“

V.li.: Hermann Bohrer, Aydin Tas und Dekan Dietmar Zoller.

V.li.: Hermann Bohrer, Aydin Tas und Dekan Dietmar Zoller.

Elend in den Lagern

Abdul Fadloun ist Ingenieur in der Automobilbranche. Ursprünglich kommt er aus Syrien. Er lebt schon lange in Deutschland. Als Mittelsmann zwischen den Kulturen ging er vor einem Jahr für das THW nach Jordanien, um in den Flüchtlingsunterkünften zu helfen.

In den organisierten Camps internationaler Organisationen waren unglaublich viele Menschen untergebracht, berichtete Fadloun. In einem Camp nahe der Stadt al Za´atari lebten über einhunderttausend syrische Flüchtlinge in Zelten. Die Anzahl der Kinder und Frauen dort wäre „unvorstellbar“ gewesen.

Im Libanon gäbe es ein weiteres großes Lager nahe al Azrac. Über eine Million Flüchtlinge bei vier Millionen Einwohnern habe das Land aufgenommen.  Die Nächte in den Zelten seien sehr kalt, Lebensmittel, Kleidung, Heizmittel – alles sei stark rationiert.

Ein Bürger warf ein, warum es keine Unterstützung von den reichen arabischen Nachbarstaaten gebe. Abdul Fadloun unterstrich, dass Jordanien und der Libanon mit Geldern unterstützen, obwohl sie keine Ressourcen hätten.
Saudi Arabien würde zwar in der Verpflichtung stehen, aber die Menschen gingen dort nicht hin, da die Umstände da nicht besser seien.

Fadloun wies darauf hin, dass Syrien nicht arm war. Die Menschen hatten Häuser, ein Guthaben – und sie wollten eine Demokratie. Nun sei alles weg. Sie flüchteten vor dem Krieg und hätten alles zurücklassen müssen.

Die jungen Männer verließen ihre Familie, um nicht als Kanonenfutter verheizt zu werden, da das Militär sofort alle einziehe: „Und da die Nachbarländer meist nicht besser sind, müssen sie halt weiter weg.“

 Zu wenig Geld von der UNO

Reinhard Schott, Integrationsbeauftragter der Ev. Kirche, hat als „Brückenmensch“ für die Integration Russlanddeutscher gearbeitet.

Schott erzählte vom Aufbau eines psychosozialen Zentrums für traumatisierte Flüchtlinge. Dort würden bisher siebzig Personen betreut. Die Diakonie arbeite mit der Caritas zusammen. Daneben gäbe es Absprachen mit Wohlfahrtsverbänden, um mehr Beratungsstellen einzurichten.

Schott sagte, wenn die Einzahlung der Länder in die UNO besser gewesen wäre, hätte man mehr vor Ort helfen können. Aber so gehe es in den Flüchtlingslagern um das nackte Überleben.

„Die UNO hat keine Mittel mehr,“ so Hermann Bohrer, „um Flüchtlingen zu helfen. Das ist ein Skandal. Es sind Menschen, die zu uns kommen und denen müssen wir helfen.“

Eine alleinerziehende Person hätte in Deutschland 350 Euro im Monat zur Verfügung. Die Miete würde bezahlt, das Stromgeld gehe aber vom Barbetrag ab.

Flüchtlingshilfe Bad Bergzabern Forum

„Es wird viel Mist geschrieben“

Aydin Tas meinte, niemand bräuchte Angst haben. In den „sozialen Medien“ würde „sehr viel Mist“ geschrieben werden.
Es gäbe die Behauptung von einem „Willkommensgeld“, was „absoluter Blödsinn“ sei. Man solle sich selbst informieren und die Begegnungsmöglichkeiten nutzen.

Deutschland sei ein Einwanderungsland, das biete neue Chancen: „Wir sprechen von einem Fachkräftemangel, dabei sind viele Taxifahrer Akademiker, deren Abschluss hier nicht anerkannt wird.“

Ein Bürger wollte wissen, was man sich von einer Podiumsdiskussion verspreche, in der alle der gleichen Meinung seien. Ein anderer Bürger fügte an, ob „wir in den Herkunftsländern der Flüchtlinge ebenso freundlich aufgenommen würden“.

Dekan Zöller unterstrich seine Position der Hilfe für Schutzbedürftige. Hermann Bohrer entgegnete, es hätte auch Zeiten gegeben, in denen Deutsche auswandern mussten. Und in der Runde auf dem Podium hätte er nicht unbedingt einen „Pegida-Vertreter“ sehen wollen.

Es gab auch einige bedenkliche Äußerungen, ob Deutschland die Situation schultern könne. Bohrer warf ein, dass in der Bankenkrise auch Geld da gewesen sei: „Da hat es doch auch funktioniert. Wir können das schaffen.“

Eine Bürgerin sagte, sie habe mehr Angst vor den Rechtsradikalen und Pegida als vor Flüchtlingen. Die Bundesregierung sei zu lethargisch, reagiere zu wenig.

Wie soll es in einem Jahr sein?

Zöller stellte zum Abschluss die Frage, was jeder gerne in einem Jahr in der Zeitung lesen würde.

Alle waren sich darüber einig, über „Frieden“ lesen zu wollen. Dass Deutschland es geschafft habe. „Dass wir uns als ein buntes Volk bezeichnen können.“

Abdel Fadloun fände es toll, wenn in den Geschichtsbüchern stehen würde, wie stolz Deutschland sein könne, geholfen zu haben.

Die Podiumsdiskussion wurde musikalisch von drei jungen Männern aus Eritrea mit der Kirra begleitet.

Flüchtlingshilfe Bad Bergzabern Forum Eriträer Musik

Print Friendly, PDF & Email
Zur Startseite

Abonnieren Sie auch unseren Pfalz-Express-Kanal bei YouTube

Diesen Artikel drucken Diesen Artikel drucken

Ein Kommentar auf "Flüchtlingshilfe: Podiumsdiskussion in Bad Bergzabern: „Wir können das schaffen“"

  1. Willibald Krötzmann sagt:

    Die Wahrheit, von der die Bundesregierung seit Monaten mit der Inszenierung einer ebenso albernen wie selbstgerechten „Willkommenskultur“ abzulenken versucht, diese Wahrheit ist jetzt aus Schäuble herausgebrochen. Als er am Mittwochabend in Berlin, auf einer Veranstaltung des Centrums für Europäische Politik, den Zustrom fremder Menschen aus dem arabischen Raum, aus Asien und Afrika mit dem unbeherrschbaren Niedergang einer Lawine verglich, wurde klar, dass der Staat längst aufgegeben hat, dass er nur noch so tut, als könne er etwas tun. Dämliche Phrasen – „wir schaffen das“ – müssen über die Ohnmacht der überforderten Regierung hinwegtäuschen. Selbst ihr treuester Minister mag dem Gewäsch seiner Kanzlerin anscheinend keinen Glauben mehr schenken.

    Sicher, dass würde Wolfgang Schäuble so nie sagen, die Herrin vielmehr seiner Gefolgschaft versichern. Doch mit der Metapher der Lawine hat er nun mal die Karten aufgedeckt, mag sein versehentlich. Ist doch jede Lawine zuerst und vor allem eine Katastrophe. Einmal losgetreten, lässt sie sich weder lenken noch stoppen – nicht, wo man es zuvor an den nötigen Vorkehrungen hat fehlen lassen. Wenn Wolfgang Schäuble also sagt, dass es sich mit dem weiterhin ungebremsten Zustrom der „Flüchtlinge“ wie mit einer „Lawine“ verhalte, dann befürchtet er zweifelsohne katastrophale Verhältnisse in Deutschland, vielleicht sogar in Europa.

    Es könne „ziemlich schlimm für uns alle werden“, soll er wörtlich eingestanden haben. Und das gelte umso mehr, als sich bisher nicht einmal sagen lasse, „ob wir schon in dem Stadium sind, wo die Lawine unten im Tal angekommen ist, oder ob wir in dem Stadium im oberen Ende des Hanges sind“.

    Tatsächlich wächst jede Lawine, solange sie rollt. Wo sie auftrifft, verursacht sie unabsehbaren Schaden. ….

    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/schaeubles_es_hat_gesprochen