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Experten des Pfalzinstituts in Landau am Markt: Konflikte dürfen sein

10. September 2013 | Kategorie: Allgemein, Landau, Regional

Trafen sich zu einem Gespräch am Rande der Vorträge: Pfalzklinikum-Geschäftsführer Paul Bomke, der Leitende Oberarzt Dr. Wolfgang Weissbeck, Christiane Braun (Ärztliche Sekretärin im Pfalzinstitut), Karin Sachs (Erzieherin ST-Station) und der Landauer Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer.
Foto: red

Landau. Über hundert Interessierte hatten sich am ersten Septembersamstag für das Thema „Pubertät“ entschieden und waren zur Infoveranstaltung des Pfalzinstituts (PI) ins Kulturzentrum Altes Kaufhaus gekommen.

Und das, obwohl nebenan nicht nur der beliebte Marktbummel lockte, sondern auch Parteien kräftig mit Wahlwerbung unterwegs waren. Als Ruheinsel vor der Adler-Apotheke am Rathaus bot das Bündnis gegen Depression Landau – SÜW e. V. Informationen und Gespräche an, machte aber auch auf die Pubertäts-Veranstaltung aufmerksam. Eine transparente Fahne mit der Aufschrift „Seelische Gesundheit“ und das Pfalzklinikum-Logo an der Fassade des Alten Kaufhauses zur Markseite hin warben für die Kurzvorträge von Experten aus Klingenmünster.

Jugendlichen, Eltern, Großeltern, Lehrer, Journalisten –  die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Pfalzklinikums  hatte sich bestens auf die verschiedenen Interessengruppen vorbereitet. Um 9 Uhr begrüßte die stellvertretende Chefärztin, Dr. Susanne Lieb, die Gäste sehr persönlich und leitete als Moderatorin zum Vortrag von Dr. Wolfgang Weissbeck über.

Der Leitende Oberarzt beleuchtet körperliche, psychische, pädagogische und gesellschaftspolitische Aspekte ganz „normaler“ Reifungsprozesse, die jeder Mensch auf seine ganz individuelle Weise bewältigen müsse. Der Referent unterschied zwischen Pubertät, die vor allem die körperlichen Veränderungen umfasst, und Adoleszenz, die die seelische Veränderungen in den Mittelpunkt stellt und bis zum Alter von Mitte, Ende 20 andauern könne.

Als Psychiater und Vater von drei jugendlichen Kindern fasste er ein paar wichtige Botschaften zum Mit-Nach-Hause-Nehmen zusammen:

. Aus der Kenntnis der Vorgänge während der Reifung lässt sich ein Verständnis für die besonderen Probleme in der Adoleszenz ableiten.
. Das Gehirn verschaltet sich neu, Interessen werden neu gebildet, es besteht eine erhöhte Risikobereitschaft, aber auch Langeweile und Suche nach Neuem, der Schlafrhythmus verlagert sich nach hinten, Emotionen können schlechter erkannt und Verhaltensweisen schwerer kontrolliert werden.
. Das Gehirn lernt durch Wiederholung, leichter geht’s mit Motivation: Sorgen Sie für positive Lernsituationen!
. In Beziehung bleiben! Sehen Sie auch auf die positiven Seiten und Ressourcen!
. Sie bleiben die Eltern! Begleiten Sie Ihre Kinder bis ans „Ende des Tunnels“.
. Was Ihr Kind macht, geht Sie an! Verhandeln Sie Grenzen, wo bislang keine gesetzt sind.
. Bleiben Sie im Gespräch! Hören Sie zu, monologisieren Sie nicht, vermeiden Sie Ironie. Konflikte dürfen sein!
. Sie sind Vorbild! Benehmen Sie sich auch so!

Nach dem Vortrag war die Moderatorin mit dem Mikrofon im Saal unterwegs, und sammelte viele Fragen ein, zum Beispiel: Was tun, wenn „alle“ in Facebook sind, ich als Mutter das für meine Tochter aber nicht will? Die Antwort der Experten: Bringen Sie Ihre Haltung klar rüber. Wir alle sind mit dafür verantwortlich, was in der Gesellschaft „normal“ ist. Im konkreten Fall sollten Sie immer versuchen, eine gemeinsame Lösung mit der Tochter finden, indem Sie Ihre Grenze nicht aufgeben, aber eventuell ein bisschen anpassen. Soll heißen: Vielleicht brauchen Sie kein striktes Verbot, sondern können Bedingungen verhandeln und festlegen.

Gemeinsamkeiten entdecken und individuelle Unterschiede zulassen – mit diesem Grundsatz des Zusammenlebens von Eltern und Heranwachsenden beschäftigten sich auch drei Therapeutinnen beim Thema Essstörungen. 

Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Beate Reinders, die Mototherapeutin Gabriele Löschner und die Kunsttherapeutin Anna Coels beeindruckten mit ihrer Kreativität im Team-Vortrag. Es seien vor allem die hohen Ansprüche der Patientinnen und Patienten an sich selbst, die sie ins Hungern treiben – auf der Suche nach dem Glück. Häufig seien gerade die Mädchen zunächst von ihren wichtigen Bezugspersonen sehr gelobt worden für ihre Disziplin beim Essen und die tolle Figur, solange, bis es den anderen zu viel wurde mit der Schlankheit, die Mädchen aber gar nicht mehr allein zurück konnten. Wichtig sei es, sich mit wechselnden gesellschaftlichen Schönheitsidealen auseinander zu setzen und sich selbst anzunehmen, so wie ich bin. Für Eltern von essgestörten Kindern gibt es eine von Fachleuten begleitete Selbsthilfegruppe in Klingenmünster – sehr wichtig, damit die Eltern nicht selbst in psychische Not geraten.

Ob Hungern nicht auch eine Art Selbstverletzung sei, fragte eine junge Frau aus dem Publikum. In der Regel nicht, weil andere Motive dahinter stehen, bekam sie zur Antwort. Zum Beispiel Schneiden in die Arme und andere Körperteile, diene häufig dem Ziel, die innere Leere zu überwinden und „überhaupt etwas“ zu spüren. Sabine Anker machte als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin deutlich, dass bei etwa zwei Prozent der Jungen und sechs Prozent der Mädchen ein behandlungsbedürftiges Selbstverletzungs- oder Hochrisikoverhalten vorliege. Bei jedem Notfall könne man sich rund um die Uhr an das Pfalzinstitut wenden, ansonsten sei ein klärendes Beratungsgespräch mit einem Kinder- und Jugendlichentherapeuten angezeigt oder eventuell zunächst ein ambulanter Kontakt zum PI.

Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer, der sich als ehemaliger pädagogisch-pflegerischer Leiter des Pfalzinstituts (1985 bis 1998) immer noch mit seinem früheren Arbeitgeber verbunden fühlt, lobte in seinem Grußwort das Engagement des Pfalzklinikums für die seelische Gesundheit der Menschen in der Region.

Geschäftsführer Paul Bomke, selbst Vater zweier jugendlicher Töchter, war mit seiner Ehefrau zu der Veranstaltung gekommen.  Wie fast alle Teilnehmer sprachen sie dem PI-Team ein großes Lob aus und klebten ihre Wertungspunkte auf die am Ausgang stehenden Stellwände in die Spalten „zufrieden/würde wiederkommen“ und „Inhalte wurden allgemeinverständlich vermittelt“. Unterstützung erhielt das PI-Team beim Stimmungsbarometer von Julius und Benedikt Haag, die ihren Vater gern zu seinem samstäglichen Dienst im Rahmen des Veranstaltungsmanagements begleitet hatten.

Im Foyer des Alten Kaufhauses nutzten eine Reihe von Besuchern die Möglichkeit, die richtigen Ansprechpartner bei persönlichen Anliegen zu finden. Aktiv dabei auch Karin Sachs und Willi Kunkel vom Verein „Freunde des Pfalzinstituts“ und Anja Bischoff-Fichtner vom Kinderschutzdienst Landau e. V.

Das Pfalzinstitut stand der Klingenmünsterer Partnerklinik für Erwachsene, die im Juni den Veranstaltungsreigen des Pfalzklinikums in Landau eröffnet hatte, in nichts nach und übergibt nun den Staffelstab an die Experten zum Thema Demenz. Im Oktober ist das PI selbst noch einmal in Landau präsent, dann in Kooperation mit dem Schlafzentrum.

Kontakt:
www.pfalzklinikum.de
www.pfalzinstitut.de

Weitere Veranstaltungen des Pfalzklinikums in der Reihe SEELISCHE GESUNDHEIT in Landau

Fortgesetzt wird die Vortragsreihe zur seelischen Gesundheit am 21. September von 10 bis 12 Uhr im Alten Kaufhaus mit dem Thema Demenz. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Klinik für Gerontopsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, der Klinik für Neurologie sowie der Tagesstätte mit Demenzschwerpunkt in Bad Bergzabern gestalten diese Veranstaltung gemeinsam.

Die Veranstaltungsreihe findet anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der ersten Tagesklinik des Pfalzklinikums in Landau statt. Diesen Anlass nutzen Experten aus Klingenmünster, um das Thema seelische Gesundheit auch auf dem Vortragsweg direkt in die Stadt zu bringen.

So auch mit der vorerst letzten Veranstaltung in diesem Jahr. Am Mittwoch, 30. Oktober, um 19 Uhr geht es in der Festhalle Landau um Schlafstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Informationsveranstaltung für betroffene Eltern wird in Kooperation gestaltet: vom Interdisziplinären Schlafzentrum und von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Pfalzklinikums.

Alle Bürger sind herzlich eingeladen, der Eintritt ist frei. (red)

Der Verein der Freunde des Pfalzinstituts präsentierte sich mit einem Stand im Foyer des Alten Kaufhauses.
Foto: red


 

 

 


 

 

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