Der Stasi-Aufklärer in Kandel: Roland Jahn kämpft für „jedes Stück gestohlenes Leben“

17. Juni 2016 | Kategorie: Kreis Germersheim, Politik regional, Regional
Roland Jahn (re.), Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStU, mit dem südpfälzer CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Thomas Gebhart. Fotos: pfalz-express.de/Licht

Roland Jahn (re.), Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStU, mit dem südpfälzer CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Thomas Gebhart.
Fotos: pfalz-express.de/Licht

Kandel – Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, hielt in der Kandeler Stadthalle seine Zuhörer in Atmen.

Der Journalist und Bürgerrechtler war auf Einladung des südpfälzischen Bundestagsabgeordneten Dr. Thomas Gebhart (CDU) in die Südpfalz gekommen. Nachmittags besuchte er das Pamina-Gymnasium in Herxheim und diskutierte dort mit Schülern.

Jahn berichtete unter dem Motto „ Zwischen Anpassung und Widerspruch“ vom Leben in der ehemaligen DDR und von seinen Aufgaben als „Stasi-Aufklärer“.

Zur Erläuterung: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR, kurz „Stasi“ für Staatssicherheitsdienst, war zugleich Nachrichtendienst und Geheimpolizei der DDR, die ohne parlamentarische und juristische Kontrollen Bürger bespitzelte, Verhaftungen vornahm, teils unter Folter Geständnisse erzwang und häufig Schauprozesse mit schon feststehenden Urteilen vorbereitete.

2011 wählte der Bundestag Jahn zum neuen Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BstU) der ehemaligen DDR. Einer seiner Vorgänger war der heutige Bundespräsident Joachim Gauck.

Dass sich Jahn für dieses Amt außerordentlich gut eignet, stellt bis heute niemand in Frage, hat er doch selbst ausreichend Erfahrungen mit der berüchtigten Behörde gemacht.

Roland Jahn, Jahrgang 1953, war Mitbegründer der oppositionellen „Friedensgemeinschaft Jena“. Er protestierte gegen fehlende Meinungsfreiheit und die Militarisierung in der DDR. Nach öffentlicher Kritik an der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann wurde er 1977 vom Studium der Wirtschaftswissenschaften ausgeschlossen.

1982 verhaftet ihn die Stasi, nachdem er eine kleine polnische Fahne mit dem Schriftzug „Solidarnosc z polskim narodem“ (Solidarität mit dem polnischen Volk) an seinem Fahrrad befestigt hatte.

Nach fünf Monaten Untersuchungshaft wurde Jahn im Januar 1983 zu 22 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach internationalen Protesten gegen seine Inhaftierung ließ man ihn Ende Februar 1983 nach sechs Monaten Haft frei und bürgerte ihn gegen seinen Willen aus.

Die Stasi sperrt ihn in Knebelketten gefesselt in einen Waggon eines „Interzonenzugs“, sein Abteil wurde erst in der Bundesrepublik wieder geöffnet.

Von West-Berlin aus hielt er dann Kontakt zur DDR-Opposition und baute ein Informationsnetzwerk zwischen Ost und West auf. Für die ZDF-Redaktion „Kennzeichen D“ und das ARD-Magazin „Kontraste“ berichtete er über Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in der DDR.

Am 9. Juni wählte ihn der Bundestag für eine zweite Amtszeit zum Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen von fünf Jahren wieder.  

„Demokratie ist nicht selbstverständlich“

Pressefreiheit, eine demokratische Streitkultur – das sei ein hohes Gut, sagte Jahn in Kandel, wohin auch einige Opfer und Betroffene des DDR-Regimes gekommen waren. Man habe zwar heute heute andere Fragestellungen als damals, aber: „Zurückschauen ist immer wichtig.“

Roland Jahn, Stasi-Beauftragter, Kandel, Thomas Gebhart

Die Veranstaltung fand bewusst im Vorfeld des 17. Juni statt. Am 17. Juni 1953 wurde der Volksaufstand in der DDR gewaltsam niedergeschlagen. „Es gilt, sich zu erinnern, um für heute und morgen daraus zu lernen“, sagte Thomas Gebhart.

In der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin werde eine Ausstellung eröffnet, berichtete Roland Jahn. Die Mauergedenkstätte oder die Eastside-Galerie seien historische Orte, die der nächsten Generation die Schrecken, aber auch die Chancen der damailgen und heutigen Zeit verständlich machen könnten. Und die eine Botschaft vermittelten: „Eine Gesellschaft kann sich ändern. Freiheit und Selbstbestimmung sind nicht selbstverständlich.“

Der Ort der Schreibtischtäter sei zudem auch ein Ort der Revolution. Für Jahn eine Lebensweisheit: „Aus dem Negativen das Positive ziehen ist eine Grundformel. Ich war selbst fix und fertig in der Zelle, aber jetzt bin ich wieder da.“

Über 15.000 Säcke mit Schnipseln aus zerschredderten Stasi-Akten gab und gibt es zu bearbeiten. Manuell wurden bereits 1,5 Millionen Dokumente in den letzten beiden Jahrzehnten zusammengesetzt.

„Es geht nicht um Akten, sondern um Menschen und ihre Schicksale“, sagt Jahn. Jeder solle sein gestohlenes Stück Leben wieder zurückbekommen. Auch für die Rentenberechnung vieler Bürger sind die Nachweise wichtig.

Das Faunhofer-Institut hat mittlerweile eine Software entwickelt, um Schnipsel zu scannen und zusammenzusetzen, „aber es dauert noch, bis diese richtig arbeitet“, so Jahn. Strafverfahren allerdings wurden bereits in den 90er Jahren abgeschlossen. Nur Morddelikte verjähren nicht und werden nach wie vor bearbeitet.

Auf eins hat Jahn übrigens besonders geachtet: 2011 hat er ein Beschäftigungsverbot für ehemalige Stasi-Mitarbeiter in der Stasi-Unterlagen-Behörde durchgesetzt. (cli)

Roland Jahn, Stasi-Beauftragter, Kandel, Thomas Gebhart, CDU

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