Bundesregierung unterstützt Deniz Yücel bei Klage vor EGMR : Zehntausende Fälle aus der Türkei anhängig

18. Juli 2017 | Kategorie: Politik
Foto: dts Nachrichtenagentur

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Berlin – Die Bundesregierung wird im Verfahren um den inhaftierten Türkei-Korrespondenten der „Welt“, Deniz Yücel, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Stellung beziehen.

Das bestätigte das Bundesjustizministerium am Montag nach der Zustimmung des Bundeskanzleramtes und des Auswärtigen Amtes, wie die „Welt“ in ihrer Dienstagausgabe berichtet.

Damit bezieht die Bundesrepublik Position in einem Verfahren, in dem Yücel Beschwerde gegen seine Behandlung durch die türkische Justiz eingereicht hat, die seiner Auffassung nach gegen die europäische Menschenrechtskommission verstößt.

Die türkische Regierung wirft Yücel vor, mit seinen journalistischen Texten in der „Welt“ „Terrorpropaganda“ verbreitet und zur „Aufwiegelung der Bevölkerung“ beigetragen zu haben. Dass er deswegen in Einzelhaft gehalten wird, verstößt laut Yücels Beschwerde gegen die Artikel 3 (Verbot von Folter und unwürdiger Behandlung), Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Artikel 10 (Meinungsfreiheit) der europäischen Konvention für Menschenrechte.

Deniz Yücel hatte sich am 14. Februar freiwillig gestellt, nach zwei Wochen in Polizeigewahrsam kam er am 27. Februar in Untersuchungshaft.

Als einziger der mehr als 150 inhaftierten Journalisten in der Türkei sitzt er in Einzelhaft. „Wir werden nichts unversucht lassen, um uns für ein rechtsstaatliches Verfahren für Deniz Yücel einzusetzen.

Deswegen werden wir auch im Verfahren vor dem EGMR eine Stellungnahme abgeben und darin unsere Position sehr deutlich machen“, sagte Bundesjustizminister Heiko Maas.

Der EGMR hat der türkischen Regierung den Fall Deniz Yücel inzwischen zur Stellungnahme zugeleitet. Bei Beschwerden deutscher Staatsbürger gegen andere Staaten wird das Bundesministerium der Justiz in Vertretung für die Bundesregierung nach Art. 36 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) informiert und erhält Gelegenheit zur Stellungnahme.

Deutschland kann nun bis zum 26. September gegenüber dem Gerichtshof mitteilen, ob von hier aus eine Stellungnahme eingereicht werden soll.

Die Stellungnahme selbst erfolgt erst, wenn der Schriftsatz der türkischen Regierung vorliegt. Justizminister Maas verlangt von der türkischen Justiz, eine Anklageschrift im Fall Yücel zu präsentieren. Denn diese liegt bis heute nicht vor.

„Nach allen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit ist die Türkei aufgefordert, endlich eine Anklageschrift vorzulegen, in der sie die erhobenen Vorwürfe konkret benennt. Bislang haben wir nur Vorverurteilungen gehört, die versuchen, Deniz Yücel pauschal als Terroristen zu diffamieren“, so Maas.

Auch eine Aufhebung der Einzelhaft für den „Welt“-Korrespondenten fordert der Justizminister: „Ein erster rechtsstaatlicher Schritt wäre, wenn die Türkei für menschenwürdige Haftbedingungen sorgen würde. Die Einzelhaft sollte beendet werden.“

Der Chef des Bundeskanzleramts, Peter Altmaier (CDU), dringt auf ein baldiges rechtstaatliches Verfahren: „Seit 155 Tagen sitzt Deniz Yücel in Haft, seit 140 Tagen in Isolationshaft. Bis zum heutigen Tag ist ihm keine Anklageschrift vorgelegt worden. Dieses Vorgehen entspricht in keiner Weise einem rechtstaatlichen Verfahren.

Aus diesem Grund wird die Bundesregierung mit einer Stellungnahme die Klage des Anwalts von Deniz Yücel beim EGMR unterstützen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Deniz Yücel weiterhin in Isolationshaft sitzt, ohne dass er seine Rechte als Beschuldigter wahrnehmen kann.“ Der Fall Deniz Yücel wird vom EGMR wie die Fälle einiger anderer türkischer Journalisten prioritär behandelt.

Unter den übrigen Journalisten sind der liberale Publizist Ahmet Altan und sein Bruder Mehmet Altan, der Kolumnist Sahin Alpay und zwölf Mitarbeiter der regierungskritischen Tageszeitung „Cumhuriyet“. Insgesamt sind derzeit Zehntausende Fälle aus der Türkei vor dem EGMR anhängig.

Täglich gehen in Straßburg mehrere Hundert neue Beschwerden ein. Die Türkei trat 1950 als eine der ersten Staaten dem Europarat und damit der Europäischen Menschenrechtskonvention bei. Der EGMR überwacht die Einhaltung der Konvention in den Mitgliedsstaaten.

Von der Möglichkeit zu Stellungnahmen in Verfahren vor dem EGMR machen Regierungen nur selten Gebrauch. Die Bundesregierung tat dies zuletzt im Falle des seit 1986 in den USA wegen Mordes einsitzenden Deutschen Jens Söring. (dts Nachrichtenagentur) 

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