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Besuch aus dem 19. Jahrhundert: Illustre Gäste in Rheinzabern

17. November 2013 | Kategorie: Kreis Germersheim, Regional

Ortsbürgermeister Gerhard Beil (2.v.re.) kennt sich in der Geschichte Rheinzaberns bestens aus.
Foto: Beil

Rheinzabern – „Stehn‘se kommod!“, begrüßte Ortsbürgermeister Gerhard Beil Gäste der Deutschen Gesellschaft für Historische Uniformkunde –DGHU- aus Germersheim, die in Rheinzabern ihren Jahresabschluss feierten und etwas über die Gemeinde wissen wollten.

Eine gute Gelegenheit für den Ortschef, sich bei der DGHU für die Teilnahme am letztjährigen Festumzug zu „revanchieren“ . So lag ein Hauch von „Lilli Marlen“ in der Luft, als man sich bei der Laterne am Flachsmarkt traf. Angeführt von Oberstleutnant i. Tr. Uto Ziehn waren im Tross alle möglichen „Dienstgrade“ vertreten, vom „Putzfleck“ über „Gemeine“ bis zum „Stabsoffizier“ der Bayerischen Armee, dazu auch Lazarettschwestern und Marketenderinnen.

Im Rahmen der grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Freundschaft waren auch Mitglieder aus dem Elsass und aus Lothringen gekommen.

Die DGHU besteht aus historisch Interessierten, die  „lebendige Geschichte“ inszenieren, indem sie bei Jubiläen, Gedenktagen oder Historischen Feiern mitwirken, so etwa beim Festungsfest in Germersheim, beim „Tag des lebendigen Denkmals in Spichern“ oder bei der „Bataille de Woerth 1870“. Die Jahresaktivitäten spielen zwischen „Kaisermanöver“ und „Königgrätz“.

Es geht aber nicht um das Militärische an sich, vielmehr will man verdeutlichen, wie Kriegshandwerk, Kasernenleben, Festungsregeln, militärische Restriktionen oder militarisierter Alltag lange Zeit Staat und Gesellschaft geprägt haben.

Am Flachsmarkt erläuterte Gerhard Beil den Gästen zunächst die kleinbäuerliche Struktur des alten Rheinzabern, mit Minianwesen und Gemeinschaftshöfen, großer Kinderzahl, Wohnungsenge, ungesunder Wasserversorgung etc. Selbstversorgung, etwas Milchvieh, dazu Flachsanbau, der die Menschen kaputt machte.

 Baumwolle aus den Kolonien ließ Flachsanbau und Heimweberei unattraktiv werden, stattdessen zog als neues Standbein der Tabakanbau ein. Nach einer Blütezeit in den Nachkriegsjahren ist Tabakanbau mittlerweile deutlich auf dem Rückzug.

Typisch für die alte kleinteilige Landwirtschaft war auch die genossenschaftliche Milchzentrale zur Erleichterung des Milchabsatzes an Molkereien. Nicht zu vergessen die Knochenarbeit der Waschfrauen, die bei jedem Wetter mit kaltem Wasser am Erlenbach „sudeln“ mussten, oft von Gicht und Rheuma geplagt, abgeschafft und ausgelaugt.

Am Kirchplatz stand die schier 1050 Jahre dauernde Zugehörigkeit Rheinzaberns zum Hochstift Speyer im Mittelpunkt. Kirchenbau und Friedhofsverlagerungen waren ebenso ein Thema wie das Schulwesen oder berühmte Rheinzaberner wie Paul Fagius bzw. die Gebrüder Pfeiffer.

Aus aktuellem Anlass wurde natürlich der „Anneresl“ vorgestellt, den sogar die Dichterin Elisabeth Langgässer ausdrücklich erwähnt.

Im Rathaushof sprach Gerhard Beil über den Strukturwandel der letzten 50 Jahre im Dorfgebiet, die Auswirkungen der Verwaltungsreform und die Umgestaltung des historischen Ortskerns zum kulturellen Zentrum mit Kirche, Museum und Rathaus. Natürlich ging man auf die günstige Verkehrslage Rheinzaberns seit Bau der Römerstraße ein, die vielfach aber auch Heerstraße mit Requirierungen, Furagierungen oder Brandschatzungen war.

Am großen Luftbild im Ratssaal verdeutlichte Gerhard Beil nochmals die Entwicklung der Gemeinde und erklärte dabei die Siedlungstätigkeit der Nachkriegszeit, die ganz wesentlich durch die Archäologie vorgegeben war. Römerdorf ist man nicht nur wegen des Museums allein, sondern wegen der Lage weiter Straßenzüge im Bereich des einstigen römischen Vicus Tabernae.

Dessen Aussehen und Bedeutung wurde erst anhand der Zeichnungen von Jean-Claude Golvin richtig sichtbar. Überhaupt erfuhren die Gäste vieles, das nirgends aufgeschrieben, sondern dem Erfahrungsschatz des Ortsbürgermeisters entwachsen ist.

Mittlerweile knurrte vermutlich der ein oder andere Magen, so dass der Sitz mancher Uniform gefährdet schien. Nachdem Uto Ziehn sich für die DGHU bedankt hatte, rückte die Truppe wieder zur Fortsetzung ihres Jahresabschlusses „ohne Tritt“, aber zügig, ins Gasthaus „Römerbad“ ab, um dort mit Messer und Gabel die „Bataille de Rosel“ zu schlagen, die „Vernichtung“ größerer Mengen von Köstlichkeiten aus Küche und Keller. (Gerhard Beil/red)

 

 

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2 Kommentare auf "Besuch aus dem 19. Jahrhundert: Illustre Gäste in Rheinzabern"

  1. Holger Bieler sagt:

    Einmal ganz davon abgesehen, daß Herr Uto Ziehn kein Major, sondern Oberstleutnant ist, gefällt mir der Artikel ausnehmend gut. Ich würde mir wünschen, mehr Artikel, in welchen über unsere Passion berichtet wird, würden in genau diesem Stil geschrieben: Sachlich korrekt, mit etwas Humor und absolut ohne Wertung. Weiter so, Herr Beil und vielen Dank dafür.
    Holger Bieler, 1. Compagnie, 2. Bad. Grenadier=Regiment ‚Kaiser Wilhelm I.‘ N°110

  2. Werner Schreiber sagt:

    Es ist schön, dass Geschichte und Geschichten einen würdigen Rahmen bekommen.